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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 46.1901 (Nr. 549-561)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16556#0039
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

35

Ktarker Tabak.

Ausrufer: „Leutel Leutel Aauft von dem wunderbalsam; kostet mit Be-
schreibung nur eine Mark l Aein Schwindell Leute schaut hierherl S o hat dieser
Mann vor Gebrauch des Wunderbalsams ausgeschaut und so sieht er nach zwei
chläschchen jetzt ausl"


„Nein, Mama, wenn du wieder mit-
kommst, bleibe ich hierl"

„Aber warum denn, Iohannes?"

„lveil außer dir keine andere Mutter
mitgehtl"

„Ja, das schadet doch aber nichtl"

„Dochl Die Iungens uzen michl Du
verdirbst einem auch immer das ganze
vergnügen mit deiner Angst! Fortwährend
schreist du auf und rufst mich und dann
versprichst du dich noch in der Eile und
sagst ,ksans^I"

Mein gekränkter Sohn verhielt sich
so steifbeinig, daß ich notgedrungen nach-
geben mußte. wir einigten uns dahin,
daß ich ihn bis zum Bahnhof begleiten
durfte, jedoch auch dies nur unter der Be-
dingung, ihm beim Abschied keinen Auß
zu geben. —

„Mit der Zeit wird er schon zur Ber-
nunft kommen und meinen lVert zu schätzen
wissenl" tröstete ich mich.

Als er in Sekunda war, machte es
mir Freude, ihm alle vierzehn Tage ein
xaar Freunde einzuladen. Es amüsierte
mich, die jungen Leute zu beobachten, die
alle viel besser waren, als ihr Ruf. Ich
fand, daß insbesondere die „Gefräßigkeit",
die man diesem Alter nachsagt, hier nicht
zutraf, denn selbst den appetitlichsten
Aschingerbrötchen gegenüber verhielten sie
sich zurückhaltend und manierlich.

Allmählich jedoch lichtete der Freundes-
kreis sich. Er schmolz von fünf auf einen,
bis auch dieser Letzte fortblieb.

„ksast du dich mit ihnen gezankt?"
fragte ich meinen Sohn.

Der sieht mich unfreundlich und mit
einem schweren Vorwurf in seinen blitz-
blauen Augen an.

„Bewahrel Aber wenn man nicht ein-
mal ordentlich essen kannl"

Ich fahre auf.

„Ia, was verlangst du denn? Soll ich euretwegen vielleicht
noch einmal abends kochen lassen. Das nenne ich anspruchsvolll
Aarl Müller wird zu ksaus auch nicht immer Lampreten be-
kommenl"

„Aber davon redet ja niemandl" sagt mein Iunge erstaunt.
„Ls ist ja nur, weil du immer dabei bistl"

„Deshalb können sie doch essenl"

„lvenn sie sich doch aber nicht trauen!" — —

Nach dieser Kränkung hielt ich mich fern von ihm und
wartete auf eine Annäherung seinerseits. Auf eine Periode
kleiner Nörgeleien erfolgte denn auch eine Umwandlung. Mein
ksans wurde zugänglicher und geselliger. Lr forderte mich auf,
mit ihm französisch zu sprechen, bat um mein Urteil über sein
Klavierspiel und besteißigte sich eines höstichen Betragens. Diese
Aufbesserung seines äußeren und inneren Menschen schrieb ich
solange meinem Einstuß zu, bis eine gute Freundin mich darüber
aufklärte, daß mein Iunge auf Abwegen ginge. Lr hätte eine
Liebe.

Ich stellte dies energisch in Abrede und nahm ihn mir zu
ksause vor. Lr stritt natürlichl Ich schwor ihm und mir hoch
und heilig, schleunigst „dahinter" zu kommen.

Lines Tages sitze ich im Ausstellungspark, wo ich eine Zeit

lang meinen Nachmittagskaffee zu nehmen xstegte, und mache
mich über das vorbeiziehende jdublikum lustig. Mötzlich erblicke
ich meinen ksans zwischen einer ältlichen Dame mit zu kurzem
Rock und zu großen Füßen und einem jungen Mädchen, welches
zweifellos das ausgesucht häßlichste von ganz Berlin war. Lr
trägt seinen hellgrauen Sonntagsanzug, gelbe Schuhe, einen
neuen, mir ganz unbekannten ksut und über dem Arm ein ge-
schmacklos kariertes Tape. Als er mich sieht, wird er rot, macht
ein xaar zögernde Seitenschritte, geht dann weiter und thut,
als sei ich nicht vorhanden. Ich winke init meinem Taschentuch,
was auch keinen Erfolg hat. Schließlich werde ich ärgerlich und
rufe ihn mir heran. Sehr rot und sehr verstimmt zwängt er
sich durch die Stühle an meinen Tisch. Ich beginne das Lxamen.
„wo kommst du her?"

„Ich gehe hier spazierenl"

„Mit wem?"

Keine Antwort, nur ein ungeduldiges Achselzucken und
ein suchender Blick den verlassenen Damen nach.

„lvem gehört das Lape?" inquiriere ich heftig.

„Schrei doch nicht so, Mamal Meiner Schwiegermutterl
Nun laß mich aber gehenl"

Ich schelte ihn einen dummen Iungen und befehle ihm,
das Tape auf der Stelle der Frau mit den großen Füßen wieder
 
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