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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0014
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M eg g endo rfer - B l ät t er, ünchen

fO

Die „Solo-Turnerin."


in Zug stand auf deni Bahnhof in A. bereit zur AbfahrN
T>a erblicktc der Pfarrer Traugott Lebrecht von Then-
ningen, der auf dem Perron den Anschluß der Neben-
linie zu seinem jdfarrdorf erwartete, plötzlich an einem tVagen-
fenster ein ihm bekannt vorkommendes Gesicht. Lr ging auf
das Loupe zu — richtig, es war sein alter Freund Doktor Aarl
Munding. Linige Iahre hatten sich die beiden nicht gesehen,
und so stürmten rasch eine Anzahl Fragen und Antworten auf-
einandcr ein, wie es gehe, was man treibe u. s. w.

„Na und denkst Du iminer noch nicht ans bfeiraten, alter
Freund?" fragto dann der Pfarrer.

„Und wiel" schallte es froh zurück, „vor sechs Wochen hab'
ich mich ja verlobt."

„Ia und davon hat man gar nichts erfahren? Weshalb
schicktest Du denn kcine Anzeige?"

„Ach was, auf solche formelle Geschichten gebe ich nichts;
Dn weißt, ich bin immer ein etwas besonderer Aauz gewesen."

In diescin ?lugenblick trillerto das Abfahrtssignal.

„?lber nun sag' doch nnr noch schnell, init wcm Du Dich
verlobt hast!"

„Ia, das ging köstlich zu ... ein andermal ausführlich . .
hab' sie ganz zufcillig auf der Reise in einem Lirkus kenncn
gclernt . . . eine Solo-Turncrin . . . war gleich bis über die
Bhren verliebt . . ."

In dicsein Zlugenblick setzte sich der Zug in Bewegung.
Nicht davon, sondern von dem eben Gehörten prallte Traugott
Lebrecht einen Schritt zurück.

„Ia aber sag' mir nur . . ." brachte er noch heraus, aber
der Frcund unterbrach ihn aus dem enteilenden Zug mit den
rasch hingeworfenen Morteni

„Ich sag' Dir ein wahres prachtmädel , . . ich koinine
übrigcns nächstens mit ihr vorbei, da werd' ich sie Dir bringen."

Der Iug fuhr davon; Traugott Lebrecht stand wie ange-
donnert da nnd crwiderte den winkonden Gruß des Freundes
nur mechanisch.

Mein guter ülunding — eine 5oIo-Tnrnerin — ja da
glaub' ich's wohl, daß er lieber keine verlobungsanzeigen ver-
schicktc — abor wie kann er sich nur so vergessen? Und was
wcrden seine würdigen alten Lltern dazu gesagt haben? Welche
Aämxfe, welchen Auinmer muß es da gcgcben haben und wird
es wohl noch geben — und dabei sah mein Freund so glücklich
aus! Und in mein ehrsames pfarrhaus will er mir ein solches,
iin besten Falle doch recht zweifclhaftes Tirkusgeschöpf bringen
— um Gottes willen, meine Frau wird ja außer sich geraten —
ich muß es ihr verschwcigen — aber das ist nicht ehrlich, und
ich habe nie ein Geheiinnis vor ihr gehabt . . . o der heillose,
rücksichtslose Ukensch . . . ja die modernen Ieiten, ach . . .
u. s. w. Das waren so die Gedanken, die Traugott Lebrecht
durchfuhren, während das Sekundärbähnlein, das ihn nach tfause
bringen sollte, durch die Fluren schlich.

Daheiin sagte cr seiner braven Frau doch vorerst nichts
von dcm drohenden Besuch. Auch die folgenden Tage nicht.
wer weiß, dachte er, vielleicht wird ja gar nichts daraus, und
kommen sie doch, so ist es dann immer noch Zeit, das Schwcre
auf mich zu nehmcn und meine in solchen Dingen gar strenge
Frau vorzubereiten.

Richtig vergingen auch ganze vier wochen, ohne daß das
Gefürchtete eintrat. Traugott Lebrecht fing an aufzuatmen.
Aber die Sache sollte ganz anders werden, als er gedacht.

Eines Abends, als er dem Iug entstieg, der ihn von einer
Aonferenz im benachbarten Städtchen in sein pfarrdorf zurück-
geführt, glaubte er, in die Lrde sinken zu müssen. Auf ihn zu
eilte sein Freund Aarl Munding. Stürmisch faßte er seine
beiden bfände.

„Na, nun bist Du ja da, lieber, guter, alter Freund!" rief
er, „das haben wir nicht gut getroffen, aber wir übernachten
dafür bei Dir. Du mußt wissen, ich bin mit meiner Frau auf
dcr öochzeitsreise und telegraphierte Dir, daß wir um fünf Nhr
boi Dir ankämen. Nun fanden wir leider nur Deine Frau, die
uns sagte, daß Du auf einer Aonferenz seist, und uns, die wir
mit dcm nächstcn Iuge wieder weiter wollten, deshalb nötigte
da zu bleibcn und bei euch Vuartier zu nehmen; so liebe Lcute
zu beherbergen — hör's nur! — werde dem pfarrhaus eine
Freude und eiue Lhre sein, sagte sic."

„üieine Frau . . ." stotterte in höchster Verblüffung Trau-
gott Lebrecht, und still für sich dachte eri sollte sie denn gar
nichts gemerkt haben? So was läßt sich doch nicht verbergen!

„Ia, Deine Frau," nnterbrach ihn der Freund aber gleich,
„die ist wirklich zu lieb mit meinem jungen Weiberl, und die
beidcn habeu sich schon ordentlich angefreundet, so daß ich sie
einen Augenblick allein licß, um Dich abzuholen."

Traugott Lebrecht war einfach starr vor Trstaunen.

Abcr übcrglücklich war er auch. Bcsser hätte ja die Ge-
schichte gar nicht ablaufcn können. Aber rätselhaft blieb ihm
die Sache doch - seine gute, etwas hausbackene Gattin hatte
doch ein scharfes Auge für Menschen, und in gewissen Dingen
war sie von großer Strenge.

Die zehn Akinuten U?egs bis zum j?farrhause mußten ihin
Alarheit bringen. Lr wollte offen mit dem Freunde reden.

„Nun, siehst Du," begann er etwas stockend, „das freut
mich ja recht sehr, daß alles so gut ging, mir war's offen ge-
standen seit wochen eine nicht geringe Sorge . . ."

„Sorge — ja wie so denn?" fragte der Freund verwundert.

„Ia nun . . . weißt Du . . . es ist eben doch so eine
Sache; und dann — ich bin gewiß kein jdhilister — aber ich
war doch auch nm Dich selbst in Sorge, denn dergleichen ist doch
immer eine Anbesonnenhcit, für die man schwer büßen kann,
ganz abgesehen von dem in solchem Falle gewiß nicht unge-
rcchtfertigten Urteil der welt."

„Unbesonnenheit — schwer büßen — Urteil der U?elt . . .
aber Ukensch ich verstehe Dich absolut nicht."

„Nun — Deine Frau —"

„Ukeine Frau?"

„Ia, ja, Du hast sie doch im Tirkus kennen gelernt . . ."

„Gewiß, aber was soll's damit?"

„Ia Ulensch, ich bitte Dich, uimm mir's nicht übel, aber
einc Solo-Turnerin . . ."

lveiter kam der gute lherr jdfarrer nicht; sein Freund
unterbrach ihn mit einer so unbändigen Lachsalve, daß ihm die
lvorte im Ukunde stecken und die Leute auf der Straße stchen
blieben. Lr konnte gar nicht zu sich kommen, der junge Lhc-
mann, nnd dabci faßte er den ärgerlich werdenden Freund
beim Arm und zog ihn stürmisch weiter zu dem schon nahen
jlfarrhans.

„Uerzensfreund, noch cinen Augenblick wartc, zu kfause
will ich Dir alles beichten/und Du sollst mir Absolution erteilen,"
brachte er cndlich stoßweise zwischen immer erneuten Lachan-
fällen hervor.
 
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