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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0027
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Zeitschrift für chumor und Aunst

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ihm bei seiner bisherigen Unbescholtenheit höchst unan-
genehm wäre. „Als Student der Iurisxrudenz," sügte er hinzu,
„muß ich mich doppelt schämen 7>nt den Gesetzen in Aonflikt
gekommen zu sein, und auch u,n nieiner studentischen ver-
bindung willen wäre mir eine Strafe sehr satal. Sie, therr
Atedizinalrat, werden sreilich nicht begreifen, wie man in meinem
Alter solch kindischen llnfug treiben kann. llnd doch . . . die
Ltudentenzeitl Beim Anblick des glänzenden Glockenknopfs
sind alte^Lrinnerungen, jugendlicher llebermut in mir erwacht
- . . achl wenn Sie's nur begrcifen und entschuldigen wolltenl"

Erstaunt und lächelnd hörte der llledizinalrat zu. „So, so>
llnd ich dachte, Sie besuchen mich, als Sohn meines Freundesl
Nunl Beruhigen Sie sich, es sreut mich, auch auf diesem lllege
Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, und wegen eines Straf-
antrages seien Sie ohne Sorge, einen solchen ließe mein Ge-
wissen gar nicht zu, denn: das ist der Flnch der bösen That,
daß sie sortzeugend Böses muß gebären! Sie haben die Lust,
sremde Glocken anzuziehen, ofsenbar von Ihrem vater geerbt,
und ich selbst büße, was ich' in mciner Iugend gesündigt. (!)
wenn Sie wüßten, welchen Spaß es nns bciden, Ioachim und
mir, — wir steckten nämlich immerfort beisammcn, — während
unserer Schulzeit machte,
ruhige Bürger in eben der
lveise zu sopxen, wie Sic
es heute bei uns versuchten!

Ia von uns hätten Sie,
harmloser Aamerad, noch
lernen könnenl Niemals
werde ich den köstlichen Spaß
vergessen, wie wir unserm
Nachbarn, einem alten, sauer-
töpfischen Iunggesellen, an
den Glockenknops einen
schwarz gefärbten Bindfaden
banden, mittclst dessen wir
aus sicherer Lntfernung bei
dunkler Nacht seine Alingel
in periodische Bewegung
setzten. lllindestens ein halb-
dutzendmal stolpcrte der alte
Griesgram herunter, um
beim Geffnen der Thüre
nichts zu finden, als die
kohlpechrabenschwarzeNacht;
denn weil er zu geizig war,

Licht anzuzünden, sah er nichts von dem Bindfaden. Tr lauerte
dann hinter der ksausthüre, aber es half ihn nichts, das Läuten
hörte nicht aus, und doch war niemand zu sehen. Schon fing
er an, an Geisterspuk zu glauben und sprach allerlei Beschwö-
rungssprüche, bis der Bindsaden mit einem llrache riß, und er
unser boshaftes GelLchter schallen hörte. Oie Flüche, die er
uns nachschickte, möchte ich nicht wiederholen, wir machten uns
aber nichts daraus.

Nun, mein junger Freund, das sind Anabenstreiche. Aber
Sie werden sich noch mehr entlastet fühlen, wenn Sie verneh-
men, daß auch junge'Damen sich ähnliche vergnügen leisten.

„Aber, Mann l Du wirst doch nicht . . .1" fiel errötend die
Frau llledizinalrat ein.

„Ei, warum nicht?" erwiderte der alte bferr lachend: „Das
geht heute in einem hin. Also vernchmen Sie die kuriose und
leider nur zu wahre Geschichte! Da war in einer benachbarten
Stadt eine höhere Töchterschule. Die lllädchcn, welche dicsclbe
besuchten, waren größtcnteils hübsch, zum Teil sogar rccht hübsch;
und merkwürdig! gerade die hübschcsten waren auch die über-
mütigsicn. llnter diesen war auch die Gewohnheit eingerissen,

im lvinter, wenn es beim lfeimweg aus der Schule bereits
dämmerte, ahnungslose Seelen durch heuchlerisches Anläuten zu
soxpen. Für ein junges Fräulein im Alter von ;s bis z? Iahren
ist es immcrhin etwas llnangenehmes, bei einer solchen That
erwischt zu werden; auch das rasche Davoneilen ist in diesem
Fall nicht so thunlich, was würde sich irgend eine Bekannte
oder ein Bekannter donken, dem die Dahingaloppierende zu-
sällig in den lveg rennen würde? Da war nun unter den
Zöglingen jener Töchterschule just die Schönste zugleich auch
die Schlaueste. Sie hieß Agnes. lvenn sie an einem srem-
den lfause läutete, so lief sie nicht kindisch davon, sondern
wartete, bis geöffnet wurde, und fragte dann mit der unschul-
digsten llliene der lvelt: „lvohnt hier Fräulein Süßenblick?"
oder: „lvohnt hier lherr lherzensbruch?" — natürlich lauter
unmögliche Namen. Die wohnten dann bedauerlicherweise
nicht da, und so entfernte sie sich mit hochernster llliene und
kicherndem lferzen.

Linmal aber sollte ihr's doch schlecht gehen. Sie läutete
abends an einem kleinen, netten lfäuschen. Lin junger lferr
öffnete; sie sah in der Dunkelheit nicht, wie nett er war.
„lvohnt hicr lherr Edelmaier?" sragte Fräulein Agnes so ganz

unschuldig.

„Gewißl Doktor Ldel-
maier, das bin ich; bitte,
treten Sie einl"

Das war ein Reinfall.
Aber der junge Arzt konnte
das jähe Lrschrecken des
Fräuleins in dem Zwielicht
nicht sehen. Agnes hatte
alle Geistesgegenwart ver-
loren; denn an die lllöglich-
keit eines solchen Iufalls
hatte sie nie gedacht. j)m
hellerleuchteten Sprechzim-
mer nahm sie Platz und der
junge Arzt bewunderte nun
ihre Schönheit, wobei es
ihm allerdings eigentümlich
vorkam, daß ein so elegantes
junges Fräulein sich ohne
Begleitung zu ihm wagte.
Lr saßte sich aber und fragte
seinem Berus gemäß: „Nun,
wo fehlt es, mein Fräulein?"

„Am kjerzen," stammelte sie in reizender verwirrung.

„Dann werde ich wohl Ihr ljerz untersuchen müssen?"

„Ach nein! — ja! — ich weiß doch nicht!" Sie war ganz
mit Glut übcrgossen.

„Aber lllann," fiel hier die Frau llledizinalrat ein, „Du
übertreibst wirklich!" llnd die immer noch schöne Frau erschien
ebenfalls in purxurglut getaucht.

„Nun, daß ich os kurz mache!" suhr der alte lserr sort,
„zu einer llntersuchung ließ sie es nicht kommen; dagegen
mußte sie sich bequemen, ihre Schuld zu beichten. Ls war die
schönste Mhrenbeichte, die ich als Arzt je vernommen; denn daß
ich der junge Arzt war, wissen Sie wohl bereits. Ich selber
trug von der Geschichte ein akutes lherzleiden davon, und die
salsche Patientin mußte ihrerseits die Rolle des Arztes über-
nchmcn, wclche sie denn als Braut und hernach als Gattin
trefflich durchführte. Sie hat mich mit den altbewährten lsaus-
mitteln, die cs gegen derartige ljcrzkrankheitcn gibt, gründlich
gehcilt, und ihren Iugendübermut hielt ich fortan straff in den
Zügeln. Sie sehen, mein junger Freund, was aus unbesugtem
Läuten werden kann: ja, das ist der Fluch der bösen That!"
 
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