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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0049
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Zeitschrift für Lfumor und Runft


(Lin ehrenvoller Auftrag.

Line Bauornkomödic von Jvscf Hcrrmamisdorscc.

'^^^as Anwesen des wohlgeborenen
^ 1 lferrn Ignazius Niederhöfer,

Bauer in Deglbach, schlechthin
Niederhöfer Nazi genannt, lag schrag
gegenüber dem lfause des Nagel- und Nuf-
schmiedes Aloisius lvarmbichler, der wegen
seiner schauderhaften lNagerkeit unter
dem Spitznamen der Zaunstecken-Alisi
allgemein bekannt war.

Beide Anwesen waren, wie alle ober-
bayrischen Bauernhäuser, einander ziem-
lich ähnlich, beide Besitzer besatzen ungefähr
den gleichen viehstand, und beide cine
annähernd gleich große Gansherde, die
durch den Gemeindegansjungen täglich
auf die tviese oberhalb des Dorfes ge-
trieben wurde.

„Gäns kemma," sagte eines Lages
der Nazi zu seiner Lhehälfte lvalburga,
alias Burgl, „geh außi und laß in lfof
'nei; gib genau acht, ob's allc beinand
san."

„Gäns' kemma," sprach nngefähr zur
selben Zeit der Zaunstecken-Alisi zu seiner
^tasi, „zähl's fein genau, ob nct am Lnd
eine sich zu dem Ljungerleider verlaufen
hat."

Unter dem „lfungerleider" meinte der
Aaunstecken-Alisi in durchaus unschöncr
lveise seinen Nachbarn Zgnazius Nieder-
höfer.

Die Gansherde vertcilte sich, wie
nnmer, beim Beimtrieb in ihre bekanntcn
lhnen zugehörigen 5tälle und nach kurzcr
Deit sah nian den Niederhöfer aus scinem
lfause in der Richtung szum Nagel-
schmiedschen Anwesen zuschreiten.

Der Zaunstecken war aber ebenfalls
iin Begriffe sich brummend zum Nieder-
höfer zu begeben und daher kam es, daß
die^ beidcn in der Mitte der Straße sich begegneten.

„A Gans fehlt mir," sagte der Nazi zum Alisi, „grad wollt
i nachschauen, ob's net bei Dir zug laufcn is. ^

„Und mir fehlt a a Gans," cntgegncte mißtramsch der 6,ann-
stecken, „und denkt.hab' i mir, ob's net ebba bei r ir sei ^ unn .

„bfernach werd'n die zwei Luadaviecher n° drauß sci, niein e
ruhig der Nazi, „scbaug' ma amal, ob mir's nct sehg n lonna
Die beiden bcgcben sich, nebeneinandcr hertrottelnd, gegen

die lveide hinaus, als schon nach kurzer
Zeit, aber nur eine Gans, den Aoxf
in die lföhe gcstreckt, ihnen entgcgenkam.

„Siehg'st Nazi, da is ja mei Gansl,"
sagte der Alisi und wollte die cinsame
Gans zu sich herlocken.

„lver sagt Dir dcnn, dqß des Dei
Gans is, die meine is, i kenns genau
am Gang, die Dei wird wohl no nach-
kemma," eutgegnetc barsch der Nazi.

„Ivas Dci Gans," brauste der Zaun-
stecken auf, „i, der i mit'n viech auf
g'wachsen bin, sollt mci Gans net sofort
kenna, schaugs nur o, wie's mi die ganz
Zeit o'schaugt!"

Die beiden stritten sich noch eine
Zeitlang, jeder von ihnen spähte umher,
ob nicht doch noch die fehlende Gans
kommcn würde, und als wirklich keine
mchr nachkam, behauptete jeder erst recht,
daß die ebcn allein .gekommene Gans
die seine wäre.

Da die Gans vollständig weiß, ohnc
jcdes Abzeichen war, war schon deshalb
eine Linigung nicht möglich, und der
Streit fing an in Thätlichkeiten auszu-
arten.

„Du kjaderlump, Du miserabliger,"
ricf dcr Zaunstecken, „Dir will ich's zei-
gen, andcr Leut Ligeutum wegzurau-
bern," und war eben im Begriffe, einen
Prügel aufzuheben, um seinem Nachbarn
sein Ligentumsrecht an der Gans und
am Schädel des Nazi klipp und klar zu
beweisen, als plötzlich, durch das Geschrei
augelockt, die heilige lfermandad in Ge-
stalt des Gemeindedicners Nexomuk Salz-
stößler erschien. Der „llluckl" griff sofort
energisch in die löandlung ein und rief:
„Auseinand, Lumpenbagaschi, schamts
cuch net, am hcllichten Tag und net amal im Ivirtshaus 's
Raufeu anz'fangcu. lvas hat's denn 'gebcn, 'raus mit der
Sprachl" Dabei zog er sein Notizbuch aus der Tasche, spitztc
crst seinen Bleistift, dann seine Ghrcn und horchte in möglichst
gravitätischer ljaltung den Bcricht der beiden mit an.

„Lin schwierigor Fall, ein in der Iurisprndenz seltcn vor-
koinincnder, schwieriger Fall" entgcgnete dcr llluckl. Bei be-
sondcrs schwicrigcn Fällen sprach er immcr hochdeutsch.
 
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