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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0051
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§7

Zeitschrift für kfuirror und Aunst


Ungcheure Aufregung bemächtigte sich der Bewohner
Deglbachs, sowie eines großen Teils der umliegenden Dorsbe-
wohner, die,,sich's uicht nehmen ließen, der richterlichen Tnt-
scheidung beizuwohnen, als die tVagen mit der Gerichtskommission
sich Deglbach"näherten,

Der Vorsitzende hatte nämlich beschlossen, die Verhandlung
in Deglbach zu sühren,

„Ietzt kemma's, jetzt kemma'sl" riesen alle, und sofort bil-
deten sich zwei jdarteien. Die eine umstand den Bazi, die
andere'scharte sich um'den Zaunstecken.

Die'verhandlung wurde im Sitzungszimmer von Deglbach
eingeleitet. Ein vergleich blieb erfolglos.

Da trotz allen kjin- und kjerfragens vou Seiten der beiden
Rechtsanwälte etwas Bestimmtes nicht ermittelt wurde, befahl
der vorsitzende die Gans hcrbeizuschaffen. In kurzer Zeit er-
schien der Gemeindediener INuckl und trieb die Gans vor sich
her. Die Aufregung unter den Bauern war unbeschreiblich.
Die Gans schritt gravitätisch durch die spalierbildenden Iu-
Ühauer hindurch; in ihrem an und für sich ja dummen Gesicht
konnte man sogar etwas wie Größenwahn herauslesen; es war
wie wenn sie gravitätisch allen zunickte, dann beguckte sie das
Aichterkollegium von der Seite und ließ sich schließlich ruhig zu
den Füßen Muckls nieder.

Da die Gans, wie gesagt, vollffändig weiß war, und jeder
der Beteiligten, der Bazi wie der Alisi auf das Bestimmteste
behauptete, seine Gans wäre es, so schlug der vorsitzende ge-
wissermaßen ein Gottesurteil vor. „Die Gans wird jetzt," so
sprach er, „mit den andern Gänsen auf die lveide getrieben,
dort ungefähr eine Stunde gelassen und dann mit den andern
nach lhause getrieben. Läuft nun die Gans in den Stall des
Viederhöfer, so wird angenommen, daß cs die Gans desselben ist
und der Marmbichler hat sämtliche Aosten zu tragen. Läuft um-
gekehrt die Gans zum lvarmbichler, wird sie diesem zuge-
sprochen uud der Niederhöfer hat die Aosten zu tragen. Lr-
kennen wird man die Gans sehr leicht wieder, denn alle andern
smd schon gerupft, außerdem kann man sie noch eigens mit
schwarzer Farbe kennzeichncn."

Und so geschah's.

Das Sitzungszimmer leerte sich rasch. Alles begab sich
hmaus, und der Gänsejunge trieb die Ljerde samt der
prozeßgans auf die weide.

Nach einer Stunde ungefähr kam die kserde zu-
rück. Die Spannung unter den Bauern erreichte ihren
ksöhepunkt.

,,D Gäns kemma, jetzt kommens zum Nazi, Gbacht
goben, ob s mit nei lauft, vorbei is scho; net wahr is,
stehn bleibts jetzt . . ." rc. rc. so riefen die Bauern

durcheinander.

Die kserde teilte sich wie immer, ein U.eil ging
>n die Ställe des Nazi, der andere in die des Alisi.

Und die Prozeßgans?!

2ie ging weder zum Nazi, noch zum Alisi, sondern

Zum Bürgermeister, bei dem sie inhaftiert war.
Uerblüfft standen die Bauern da, ziemlich ratlos der
Eerichtshof. Der vorsitzende vertagte die ganze An-
golegenheit und der Gerichtshof fuhr ab.

2er Nazi und der Alisi waren so weit als wie
Zuvor. Das heißt nur mit der Gans, die besaß noch
kemer, dafür aber jeder die sichere Garantie, im Falle
er den Prozeß verlieren würde, circa zweihundert Mark
^osten zahlen zu dürfen. Mit bitterbösen Blicken maßen
Üch der Nazi und der Alisi beim kseimgehen.

Allerseits siel es auf, daß das weib des Zaun-
steckeu am anderu Tage blaue und grüne Flecken im
Desicht hatte.

Ls mochte gegen zwölf Uhr nachts sein, als der Nazi vom
wirtshaus sich auf den kseimweg machte. Nach bäuerlicher
Art hielt er mit sich eiu Selbstgespräch, von dem der Znhalt
ungefähr lautete: „No fünfzig Ukarkl that i mir kosten lassen,
wenn nur der ander' a nix hätt' und a zahlen mußt!"

Da tauchte aus dem ksäuserschatten der „rote bsias" auf,
ein Nichtsnutz erster Güte, und machte sich an den Nazi. Die
beiden tuschelten eine weile mitsammen, endlich trennten sie
sich, und der ksias sagte noch: „Also Nazi, fünfzig Markl, auf
ksandschlag." Der Nazi schlug ein und begab sich nach ksause.

Line viertelstunde sxäter, ging der Zaunstecken-Alisi dcn-
selben weg vom wirtshaus heim, und merkwürdigerweise, er
führte dasselbe Zwiegesxräch mit sich wie sein vorgänger Nazi.

Und wieder tauchte der rote ksias aus dem ksäuserschatten,
und wieder tuschelten die beiden mitsammen, und auch dies-
mal sagte der rote ksias: „Also Alisi, fünfzig Markl, auf
kjandschlag."

Als am andern Tage die Fran Bürgermeisterin die Prozeß-
gans füttern wollte, war dieselbe verschwunden. von dieser
Thatsache wurden sofort die beidcn Gegner benachrichtigt, und
weil die Gans doch schon weg war, erklärte jeder auf dieselbe
verzichten zu wollen. „weil nur der Nazi a zahln muaßl"
sagte der Alisi vergnügt lächelnd zu sich auf dem kseimweg.

„Und recht hat er a net kriagt, und zahl'n muaß er a,"
sagte grinsend der Nazi zu seiner Frau Gemahlin, als er auf
der Gfenbank sich zu kjause niedergelassen hatte.

Am äußersten Lnde des Dorfes stand eine alte baufällige
kjütte; diese bewohnte der rote kjias mit seiner Lheliebsten
Afra. Als kfias am andern Ulorgen sich von seinem Lager
erhob, ging er in die Aüche, drehte einer wunderschönen Gans
herzlos den Aragen um, rupfte sie säuberlich und bereitete sie
für kUittag vor.

„Aber kjias," rief seine Afra, „jetzt hast erst vor etli wochen
a Gans g'stohl'n, heunt' scho wieda oane, xaß auf, die da-
wisch'n 's nol"

„was g'stohln," schrie der kjias wie beleidigt, „da schau
her, dös hab i no kriagt, daß i's nimm'" dabei zeigte er ihr
noch zehn funkelnde Iehnmarkstücke, „dös heißt ma doch net
g'stohl'n; des is a gut honorierter, ehrenvoller Auftragl"

Äme merkwürdige Metamorphose.

„Na kjerr Bäuchle, Sie sagten ja'immer, daß Sie früher ein guter
Turner waren, zeigen Sie doch einmal, ob Sie noch hoch schwingen können!"
 
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