Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0073
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
. ^

vlswn Und wahrheit.

Zeitschrifl für chuinor und Aunst

6st

6

Am cin L»aar.

von Max Hartiing.

/T /gbert Bleibhier war schon fünf wochen Strohwitwer und fühlte sich
nachgcrade in seinen vier Pfählen recht einsam und ungcmütlich.

Seine Frau war mit dem Iungen wieder einmal nach ksause,
d. h. zu ihrcn Eltcrn, gereist und kam natürlich ewig nicht wieder, trotzdem
sie in jedem Briefe schrieb, daß sie vor Sehnsucht nach dem Manne bald
vergehe. So machte sie es jedesmal, wenn sie im vaterhause zu Besuch
war. <Ls gab immer Gründe, die Rückreise hinauszuschieben.

Linmal war das wetter immer schlecht gewesen und wandte sich nun
gerade zum Besseren, wo sie abreisen sollten, oder die jdferde wurden der
Lrntearbeiten wegen gebraucht und konnten die Reisenden deshalb nicht
zur Bahn fahren; ein andermal war der Iunge krank geworden und darum
ans Reisen nicht zu denken, wieder ein andermal der Großvater etc. etc.

Auch diesmal waren die crlaubten vier wochen bereits um acht Tage
überschritten, nnd die beiden sollten nun heute wirklich zurückkommen.

Aber Lgbert Bleibhier war schon zu oft getäuscht worden, er traute
dem Landfrieden nicht und zögerte noch immer, die willkommguirlande über
die Saalthüre einzukaufen.

Noch in letzter Stunde, als er gerade die nötigen vorbereitungen für
den Lmpfang traf, ging ein Telegramm ein. Also sie kommen wieder nichtl

Lr erbrach das jdapier.

„Besuch bekommen. Bitte noch bleiben zu dürfen. Brief folgt. Nkadeleine."

Lgbert stieg die Schamröte ins Gesicht. was mnßte die Diencrin
davon denkenl Als diese sich jctzt erkundigte, ob denn die gnädige Frau
oder der Aleine krank geworden wären, weil sie nicht kämen, war es ihm
als wenn ein hämisches Lächeln um ihren Mund spielte. Und es kam bei-
nahe bedauernd heraus, daß er dio Frage vernoinen mußte.

Auch der Briest der andern Tages eintrast vermochte ihn nicht freund-
licher zu stimmen. Sie schrieb, ein vetter von ihr wäre zu Besuch gekommen,
den sie seit langen Iahren nicht gesehen habe und darum — Lgbert fühlte
sich tief verletzt, daß es die Frau übers kherz bringen konnte, ihn noch
länger hinzuhalten, und daß sie es wagte, ihm mit einem so nichtigen
Grund zu kommen. Sein ganzer Ltolz bäumte sich auf. bjatte sie so wenig
Verlangen nach ihm, wollte er auch keins haben.

Lr faßte den festen Lntschluß, sich gar nicht mehr um diese Frau zu
bekümmern und ihr zu zeigen, daß sie ihm ebenfalls recht wohl entbehrlich
sei. Lr fühlte sich in diesem Gcdanken ordentlich frei und erleichtert.
Telegramm und Brief ließ er unbeantwortet und abends — ging er ins
variete.

Als Bleibhier im Spocialitätentheater an einem der weiß gedeckten
Tische Platz nahm, hatte er bereits recht gut gegessen und eine Flasche
spritzigen Saarwein ausgestochen. Nun sehnte er sich ordentlich nach einer
Ligarre.

Lr entnahm dcm krokodilledernen Ltui eine Bock, entfernte die jdapier-
schürzo von dcrselbon und ließ das Streichholz mehrmals lustig aufblitzen.
Dann lehnte er sich gemächlich in seinen Stuhl zurück. Nun kann's losgehon,
dachte er, meinte damit aber nicht die vorstellung, denn die war längst im
Gange. In dem Saale herrschte eino gewaltige kjitze. Bläulichor Tabaks-
rauch zog an der Docke hin und ballte sich um die Lampen zusammen, deren
Licht nur gedämpft durch die wolkenschleier schien.

Um Bleibhier herum saßen an kleinen Tischen meistens Pärchen. Lr
selbst hatte Aarten für zwei plätze genommen, um möglichst bequem sitzen
zu kö.nnen.

Auf dem jdodium an der Schmalseite des Saales xroduzierte sich ein Lhinese
mit unzähligen Aotaus, Burenfrauen schossen auf eine Rolonne schlottcrnder
Lngländer in Ahaki, fingon sie ein, entkleideten sie bis auf die Tricots,
siempelten sie ab und ließen sie dann laufen.

Aber von diesen vorstellungen nahm Lgbert so gut wie nichts wahr.
Sein Blick blieb auf dem wege zur Bühne an einem lvcibe hangen, das
am Tische vor ihm saß.

Sie war von vollendet schöner Gcstalt, deren herrliche Formen, von
einem schwarzen.Aleid eng umschlossen, Auge und Sinn unausgcsetzt Beschäf-
 
Annotationen