Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0110
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
M e g g e n ö o r f e r - B l ä 1 t e r, München

f06


Ich glaut'' gar —

Ich Narr — ich duminer!"

Mnkel und Neffe.

III.

Friedrich bcgann mit großem Lifer, sich vorzubereiten. Er
las sogar meine Gedichte, was er sich sonst nie hätte einsallen
lassen; der Erfolg schien unzweifelhaft.

Am Montag nachmittag suhren wir ihn in unserem kleinen
Magen auf die 5tation nnd stellten uns erwartungsvoll auf
dem Pcrron auf. Dcr Zug hielt und einige Passagiere stiegen
ans, aber umsonst spähte ich nach einem Mesen, das auf den
Namen Elsriede 5innig hören könnte. Ich wollte mich geradc
an meine Fran wenden und die ganze 5ache als eine Fopperei
hinstellen, als ich dicht hinter mir cine srische kindliche Stimme
fragen hörtei

„Aönnen Sie inir nicht den !Oeg zum kfeim des Dichters
Aleeborn zeigen?"

„Bitte mein Fräulein," antwortete mein Neffe, „der bin
ich selbst. Darf ich annchmen, daß ich mit meiner licbenswür-
digen Aorrespondentin spreche?"

Das weibliche wesen vor uns schob den dunklen Reise-
schleier hinanf und enthüllte uns damit ein hübsches Mädchen-
gesicht, das abwechselnd rot und blaß wurde.

Auch Friedrich wechselte die Farbe. „Das ist ja sie — vom
vereinsballl" flüsterte er mir hastig zu, fand aber schnell seinc
Selbstbeherrschung wieder.

„Ich darf Sie also zu meinem Wagen führen, mein Fräu-
lein," begann cr; „freilich ist s nnr das bescheidene Gefährte
eines anspruchslosen j?oeten, aber geweiht, sobald es Ihnen
dient."

Friedrich hatte seinen Gast auf den Wagen gehoben, sich
daneben gesetzt und wippte ungeduldig mit der Peitsche nach
uns. Aaum waren wir auf den Rücksitzen aufgestiegen, als er
anch schon losfuhr und sich dann hohnlachend nach uns umkehrtc.

„Fräulein Sinnig, erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen
Mnkel und meine Tante vorstelle?" sprach er merkwürdig schnell;
„die beiden wohnen bei mir und haben das Nnglück, taubstumm
zn sein. Zum Glück gclang es ihnen, ihren Naturfehler sowoit
zu überwinden, daß sie ivenigstens verstehen, was man spricht,
nämlich durch Beobachtung der Lippen; sie sind aber leider un-
fähig . . ."

Ivir sahen uns crschrocken an, und schnell riß ich mein
Notizbuch heraus uud schricb hinein: „Sag' doch, wir können
ein wenig sprechen, wenn auch unzusammenhängend." Ich
hielt ihm das Blatt vor die Augen.

Daraufhin schüttelte uns das INädchen teilnahmsvoll die
lfände und blickte uns initleidig an.

„Die armen Leute," sagte sie dann zu unserem verruchten
Neffen, „obwohl ich den lherrn nie für einen so nahen ver-
wandten eines berühmtcn Dichters halten würde l"

„kvarum nicht?" fragte Friedrich.

Elfriede wurde rot. „Ich sollte es eigentlich nicht sagen,
weil es Ihr Bnkel ist, aber seine Physiognomie hat so etwas
— Prosaisches. ksat er je einmal etwas von Ihren wunder-
baren Gedichten gelescn?"

„Linmal vielleicht," entgegnete heuchlerisch dieser Ausbund
von einem Neffen; „er hält jedoch alles, was ich schreibe, für
dumuies Zeug."

„V, danu ist er ja ein Ungeheucr, und wie edel sind Sie,
daß Sie ihn bei sich behaltenl"

„Ich hoffe, daß er das auch fühlt. Nicht wahr, Vnkel?"
wändte er sich an mich. Ls zuckte mich bedenklich in den
Fingern, gar zu gerne hätte ich meiner Autorität Geltung ver-
schafft, ich mußte aber schweigcn.

„wissen Sie, Lserr Aleeborn," begann Llfriede, „daß Sic
eigentlich eine Ueberraschung für mich sind?"

„Line unangenehme doch nicht?"
 
Annotationen