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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0123
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Zeitschrifl für Lfumor und Aunst

Vorbestrafi.

Hunwreske veiii O. S.

^ er Amtsrichter 5ö>dner nnd der RectNsanwalt Dr. tfnin-
mer in der (Farnifonstadt R. waren Rebenbuhler in
riezug auf das Cöchterlein des tttajors lförniann, dic
hübsche ölonde Niarie. — Leide nniwarben das tliadchcn gleich
seurig, sch gehörten beide zu den bevorzugtesten Verebrcin des
ifräuleins, waren beide zur engeren Wahl gestellt, soviel schicn
srstzustchcn; iver aber von ihnen 5ieger iverden würde, das
un'ßten die Götter und wahrschcinlich tllariechen selbst noch nicht.

Eines Tages fand der Amtsrichter in seinem Bureau den
staatsanwaltschaftlichen Antrag vor, gegcn Fräulein Marie
borniann niit Strafe vorzngehen, meil dieselbe laut Anzeige
i'os Lchutzniannes Spürer in den gärtnerischcn Anlagen vor
dem Schlosse ihren Mops habe frei herunilaufen lassen, was
nach ortspolizeilicher vorschrift strengstens verboten war. was
blieb dem Manne der Gerechtigkeit anderes übrig, als in Lr-
füllung seiner Richteranitspflichten gegen die Angebetete seines
bforzens cinen Strafbefehl, lantend auf 6 Mark, umgewandelt
für den Fall der Uneinbringlichkeit in eine Uaftstrafe von
Zwei Lagen, erlassen. Anfänglich hatte es für ihn bci aller
uchterlichcn Gbjektivität doch cincn gewifsen Rciz, das stolze
ütädchcn dic Uiacht des Gesetzcs fühlen lassen zu können; all-
mählig aber ward ihni doch bange, wie sie es aufnehnien iverde
und niit ctmas lferzklopsen erschien er einige Lage spätcr
"n l.sause des Majors.

Wie er ins Ziniiner trat, fand er den Rechtsanwalt bereits
>n eisrigem Gespräche niit den Lltern, währcnd INarie in

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vorbestraft.

Thränen aufgelöst dasaß und immer wieder die worte stanimeltei
„Unschuldig verurtcilt; vorbestraftl" Lin Schauer überzog dabei
ihre zarte Gestalt.

„Ich bitte Sie, verehrtes Fräulein, alterieren Sie sich um
die Bagatelle nicht" — der Amtsrichter hatte die Situation
rasch erfaßt — „die Lrfüllnng meiner Amtspslicht ist mir dies-
mal nicht leicht geworden, aber was ich that, mnßtc ich thun.
Nehmen Sie es nur nicht tragisch," fuhr er fort, da Ularie ihn
keines Blickes würdigte, „solche jdolizeistrafen koinmen ja in
allen Areisen vor, niemand erfährt etwas davon — wenn Sie
die Strafe bezahlt haben, ist die ganze Geschichte zu Lnde."

Nun nahm der Rechtsanwalt für das Fräulein das worti
„Zch habe nun doch einen anderen Rat gegeben; warum sich
ohne Schuld bestrafen lassen? Ls ist nämlich erwiesen, daß
nicht der Ulops des Fräulein Ukarie, sondern der Mops des zur
gleichen Stunde am gleichen Vrte vorübcrgehenden Fräulein
Isabella Schwertschlag, jener alten Damc aus der Nachbarschaft,
der UUssethäter war. Demnach stcht wohl außer Zweifel, daß
der betreffende Schutzmann sich in den Uiöpsen geirrt hat;
Uiöpse sehen sich ja bekanntermaßen alle ähnlich; der Irrtum
in den Uiöpsen, meine bserren" — der Rechtsanwalt sprach bereits
impAaidoyerton — „hatte aber hier den Irrtum in den prrsonen
zur Folge; eine Freisprechung muß also sicherlich erfolgen. —
Ich habe auch bereits" - fuhr er fort sich zum Amtsrichter
wendend — „vollmacht, gegen den Strafbefehl zn remonstrieren
und die Sache zur verhandlung zu bringen."

Der Amtsrichter rvurde etwas blaßi „In der Sache selbst,"
sprach er, „darf ich als beteiligter Richter Ihnen keinen Rat
geben, aber als Freund Ihres bsauses, wertes Fräulein, bitte
ich Sie, remoiistrieren Sie nicht, selbst wenn Sie sicher eine
Freisprechung zu erwarten haben. Bcdenken Sie, wenn Sie
Linspruch einlegen, so muß die ganze Sache in öffentlicher Sitz-
ung verhandelt werden, sie müssen persönlich vor cincm großen
jdublikum erscheinen und müssen Rede und Antwort stehen,
peinlich für Sie selbst und Ihre Lltern; am Lnde koninit alles
noch ins Tagblatt."

„Und das habe ich alles Ihnen zu danken, lferr — lserr
Amtsrichter!" unterbrach ihn schluchzend Uiarie.

Lr aber fuhr in ivärmerem Tone forti „Lrsparen Sie es
mir, Fräulein, über Sie zu Gericht sitzen zu müssen; ich häite
keinen Grund, mich in diesem Falle des Richteramtes zu ent-
schlagen."

Der Amtsrichter sxrach noch lange so fort; was half es,
daß auch die Lltern ihm beistimmten; diesmal blieb der Rechts-
anwalt Siegeri der Linspruch wurde eingelegt; auf etwa vier-
zehn Tage später war bereits Terinin zur verhandlung be-
stiinmt worden.

iiiarie verlebte traurige Stunden und Tage; dem Amts-
richter gegenüber, der trotz alledem Gast im bsause des INajors
blieb, wurde sie merklich kühler; die Lhancen des Rechtsanwaltes
wurden besser. — Dem Amtsrichter konnte sie es nicht ver-
zeihen, daß er so herzlos gegen sie hatte sein können, sie sogar
eventuell zu zwei Tagen Naft zu verurteilen; und was ihren
Stolz am meisteii verletzte, war, daß sie sich allmählich selbst
ininier mehr eingestehen mußtei — nicht die Strafe, sondern die
Gefühllosigkeit, die Aälte, mit der jener Barbar über sie gc-
urteilt hatte, schmerzten sie so sehr.

Aber nie und nimnier wollte sie die Strafe annehmen; den
Triumph ihrer Freisprechnng wollte sie erlebeni um ihm sagcn
zu können i „Sie haben ein nnschuldiges, hilfloses wesen herzlos
ungerechterweise bestraft — Sie, Sie . . ." Tag und Nacht
studierte sie, was sie ihm dann alles sagcn wolle.

Andrerseits aber war der Gedanke ihrem Stolz unerträglich,
daß or selbst über sie zu Gericht sitzen werde, daß sie vor seinem
Richtertisch erscheinen müssc.
 
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