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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 48.1902 (Nr. 575-587)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16550#0133
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Aeitschrift für kfumor und Aunst

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Zokdatcublui.

„Ich hörte, Ihre sämtlichen sechs iröchtcr hälten Leutnants geheiratet, t)err vogelstein!"
Reicher Parve^nu: „Ia, in unserer Fainilie steckt nun einmal Soldatenblut."

Die „bösen" Atenschen.


tolz fuhr die „Uaiserin Llisabeth" aus dem Ronstanzer
bsafen in die morgendufiige Bucht hinaus. Stolz stand
ich auf dem obersten verdeck des schönen Dampfers.
tNarum stolz? vielleicht, weil ich mir, der ich ganz allein da
oben stand, einbildete, das prächtige Schiff gehörc mir? viclleicht,
weil mir vor kurzenr der löimmel nach langcr j?ause zuin Buben
°in herziges Mädele geschenkt? vielleicht, weil mir abends zu-
vor beim Schumann-Guintett das herz wicder cinmal so auf-
gebraust, daß ich iu ein „Freude, schöner Götterfunken" hätte
ausbrechen mögen? vielleicht, wcil es in die weite ging, den
schönen Bergen zu; wcil der bfimmel so blau, dcr See so grun, die
Sonne so golden, der Säntis so leuchtend? — Item, mein Schiff
und ich, wir waren stolz, stolz wie man s sein darf, scin soll,
wenn der liebe Gott einen in die schöne welt hinausschickt zu
einer frohen, freien Frühlingsfahrt.

Schon verlassen wir die Ronftanzer Bucht mit ihren grüneu
Ufern, über die auf der einen Seite die fernen Schneericsen hcrein-
schauen; drüben links öffnct sich der id^llische Ueberlingersee,
rechts vor uns, wohin der Dampfer einbiegt, liegt meergleich
die weite, fliinmerndc Fläche des Bodensecs. Der lvind wcht
schärfer; kaum ist da oben mein bsut noch sichcr. Scin lcichtes
Binsengeslecht mag sich ohucdies nach dem See zurücksehncn,
dem es vielleicht im letztcn bferbst am wollmatingcr Ricd entrifsen

worden. Ich steige auf das unterste Deck und mustere meine
Reisegesellschaft. Nicht vielc sind anf dem ersten Platz die
kseringssaison hat gottlob noch nicht begonuen — und gar
nichts Interessantes bietet sich da; auf dem zweiten schon eher.
Aber zwischcn drin, mit dem Rücken an deu glasbcdeckten
lltaschinenkasten gelehnt, da sitzt einsam zusainmengekauert einer,
wie man sie nicht alle Tagc sicht. Der braunc Sohn des Südens
mag ein hartes Leben hiuter sich habcn. Tiefgefurchte, verivittcrte
Züge, eingesunkcnc Augen, die doch, wie ich nachher sah, noch
so sonnig leuchten können, die Gestalt mager und verfallcn,
aber ein Tharakterkopf, dic Frende eines lltalers: der ganze
Aerl ein Ausrufzcichen an cin fühlend lltcnschenhcrz. Das ver-
spürte ich lcbhast und beobachtetc ihn einc Zeitlang. lvie die
lNenschen sind, wurden jctzt auch andere anf ihn aufmerksam;
die mcistcn pflegen ja nur zu schen, was man ihnen zeigt.
Dann aber machen sie die Augen auf und viele auch die lfcrzen.
Ia, viele. Ls ist gar nicht wahr, daß es so wenig gute lllenschen
gibt und daß fast alle nur eigennützig sind, ohnc Sinn für die
schönste ^freude: andern tfrende zu machen. Nur an den Augen
fehlt's; darin bleiben so viele Ainder und fahren wie die kleincn
Aindlein mit allem, was sie schen und was sie packen können,
nur nach dcm eigcucn lltiind. Uud oft genug schauen sie auch
mit dem umgekehrten Fernrohr in die welt. Aber wer ihnen

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