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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 49.1902 (Nr. 588-600)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16551#0093
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Zeitschrift für chuinor und Aunst

89


punkt zwei Uhr hatte sich die bewußte Generalversammlung
im chause der Frau Notar konstituiert, rund herum um eine
ungeduldig summende Theekanne und einen merkwürdigen
hausbackenen Auchen, einem entfernten verwandten des schiefen
Turmes von Pisa. Tagesordnung wie gesagt: „Radfahrhose".

Das Urteil unserer gestrengen Sittenrichterinnen lautete
nach dem altbewährten Grundsatz, daß man stets eigene Fehler
an andern zu tadeln beliebt, folgendermaßen: „Im höchsten
Grade unfein," meinte die wohlbeleibte Frau Amtsrichterin,
den dicken Schweiß sittlicher Lntrüstung mit dem Tllbogen von
der groben 5tirn wischend; — „so unweiblich" krähte die mit
einem stattlichen Schnurrbart ausgerüstete Frau Forstmeisterin;
— „unschön, unästhetisch, ja unästhetisch ist das richtige
Nlort," schrillte die
wider UAllen und
Missen sehr häßliche
Frau Notar, die der
liebe Gott allen
Regeln der Aesthetik
zum Trotz erschasfen
hatte;— „geschmack-
lo s" lautete das Vo-
tum der Frau Rent-
amtmann in der hell-
gelben Blouse mit
schreiend violettem
Linsatz.

Also vier Geg-
nerinnen — und was
für welche!

Nun kam noch
die Frau Bezirksarzt
an die Reihe sich zu
äußern, die erstens
eine sehr praktischc
und fortschrittlich ge-
sinnte und zweitens noch eine jüngere Dame war und aus dieseu
beiden Gründen doppelt herzlich gehaßt wurde von ihren Sumpf-
hausener „Freundinnen."

Sic hätte ihr Leben drum gegeben, wenn es ihr einmal
vergönnt gewesen wäre, ihre verschiedenen „Freundinnen,"
vor allem die dicke Frau Amtsrichterin, in einer Radfahrhose
zu sehen —, hatte andrerseits auch nicht übel Lust, den eigenen
hübschen Fuß ein wenig freier zu tragen, ohne freilich den
Mut zu besitzen, moralisch gelyncht zu werden und der ewi-
gen Seligkeit in den Augen frommer Leute verlustig zu gehen.

Sie versuchte zunächst ganz vorsichtig, die eben von den
andern in den Schmutz getauchte Radfahrhose wiedcr rcinzu-

waschen und in helleres, freieres Licht zu rücken, indcm sie ihre
unerhörten Ansichten durch den hochwissenschaftlichen Artikel,
den ihr kllann das verdienst hatte, heute früh gelesen zu haben,
zu stützen suchte.-

chahal Das Ariegsgeschrei der andern verdoppelte sichl
während die bisherigen pfeile eine bereits in weiter Ferne
strampelnde Radlerin unbekannter cherkunft doch nicht erreichen
konnten, bot sich jetzt die unglückselige Frau Bezirksarzt als
Zielscheibe für die treffsichern Geschosse weiblicher Ariegslust.
Die Worte, die da sielen, lassen sich graphisch nur durch dicke
Tintenklexe darstellen und sind daher zum Druck nicht geeignet.
Der ganze Theetisch vibrierte, so ging's zu. Die arme Frau
Doktorin entschloß sich zum letzten, äußersten Nittel: „Pah,

meine Damenl" rief
sie spöttisch sich cr-
hebend und vorsich-
tigerweise die chand
schon auf die Thür-
klinke legend — „Sie
würden sich wohl
keinen Moment be-
sinnen, eine Rad-
hose anzuziehen,
wenn Sie es, hm hm,
vor den Blicken der
Melt riskieren könn-
tenl" Mt diesen
Morten war sie drau-
ßen, die übrigen
stürmten wie Furien
hinterdrein, die vor
Mut nur mehr
pfauchen konnten.
Nur die Frau Notar
hatte noch die Gei-
stesgegenwart, der
Fliehenden ,ein ganz gemeines Ballettmädcheiü nachzuschlendern.

Zlls am übernächsten Sonntag die Frau Bezirksarzt am
Arm ihres Mannes über den Sumpfhausener Marktplatz schritt,
wurden sie durch wütendes Radgeklingel zu einem wilden Seiten-
sxrung veranlaßt; im sclben Augenblick fuhren ihnen die vier
sittenstrengen lsouoratiorenradlerinnen schneidig vor — alle vier
in Radhosen!

Als sich die Frau Bezirksarzt vom ersten Schrecken erholt
hatte, sagte sie kopfschüttelnd zu ihrem Mann mit einem viel-
sagenden Blick auf die dicke Frau Amtsrichterin: „Nein, Alex,
es ist doch wahrhaftig unanständig!" — „Mieso?" schmun-
zelte der Gatte, „sie hat doch ganz anftändige Madenl"

s saß im Busch ein vögeleiu
Nom Stamm der Nachtigallen, --
llnd zwar ein Männchcn! — Tin Papier
chielt es in seinen Aralleu. —

Drin hatt' ein Dichter honigsüß
„Frau Nachtigall" besungen,

Mie sie mit ihrem Liebeslied
Das lferze ihm bezwnngen.

Dcr Nachtigallerich.

Da runzelt' er die Stirn. — Dor Mut
Schwoll ihm die Nachti —galle:

„Das les' ich nun zum x-tenmal!

Zum Auckuck! — Ietzt ist's alle!

In einem fort: „Frau" Nachtiqall,
„Zhr" Flöten, — „Ihre" Lieder!" -
Bor Zorn ward Nachtigallerich
Ganz krebsrot im Gefieder —:

„Der Teufel hol' die Dichter schon
Mit ihrem Schmerzgewimmer
Und ihrer Nachti—galant'rie
Gen unsre Franenzimmer!

Das Meibchen legt die Eier bloß
Und füttert ihre Iungen
Doch nie und nimmer hat Madam
Lin Liebeslied gesnngen!

Lin unerhörter Blödsinn ist's, — I Ich hab' es satt! — Potzelement!

Mir ist es schon zuwider — ! ! Mer wird sich mit euch balgen?!"

Mir Ulänner nur, mir singen sie, ! Rief's wütend, und — erhängte sich
Die süßen Liebesliederl ! Am nächsten Nachti—galgeu. — -

Frit! Nowak.
 
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