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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 50.1902 (Nr. 601-613)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16552#0027
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Zeitschrift für Humor und Aunst

23

Line Geldheirat.

Lr setzte slch aus einen Sessel in pose und erwartete die Daine.
Nicht lange darauf, so rauschte es draußen im Aorridor und herein
trat sie.

„wo ist Ihr Sohn Lgon?" herrschte sie den Grafen an.

„<Lr ist auf die Iagd geritten, ineine ungnädige Gnädige," er-
widerte der Graf, etwas verstlmmt übcr das energische Auftreten
der Oame. „Sie wissen ja selbst, daß Sie anderthalb Bogen zu früh
auftreten."

„Muß man nicht," rief diese enis'örtz „wenn man angesichts
der ganzen tvelt in der Zeitung komproinittiert wird?"

„Aomxromittiert?" stainmelte der Graf. „Sie sxrechen in Rätseln."

„Spielen Sie nicht länger Aomödie," fuhr die Oame gereizt fort,
indem sie sich erschöpft auf einen Diwan niederließ. „Sie müssen
doch wissen, was vorgegangen ist."

„Nicht die Silbe! Was soll denn vorgegangen sein?"

„Lsaben Sie denn das zweite und dritte Aapitel unseres Ro-
mans nicht gelesen?"

„In der Tat, das habo ich nicht. Atich interessiert dio lang-
atmige Zwischenmusik dieser Zeilenschinder nicht, für mich hat ledig-
lich der Schluß Bedeutung."

„Nun, so holen Sie das Oersäumte nach, es wird Ihrem
väterlichen kserzcn Freude machen, lserr Graf," crwiderte spöttisch die
Schöne und warf dem alten Grafcn cin zerknülltes Zeitungsblatt vor
die Füße, das dieser neugierig aufhob und entfaltete, währcnd dic
gekränkte Dame aus dem Zimmer rauschte.

Aiit gerunzelter Stirne und i>nmer finsterer werdenden Brauen
las Graf Bratschinsky folgcndes:

. . . Als Lgon nach dem Auftritte mit seinem Vater diesen ver-
ließ, begab er sich auf sein Zimmer, um dort den bekannten Rampf
zwischen Liebe und Pslicht zu kämpfen. Lr liebte Aiarianne, die
Tochter des Schäfers mit aller Glut seines scchsundzwanzigjährigen
tserzens und hatte ihr sein gräfliches lvort gegeben, sie zu seinem
Lhcgemahl zu machen. Sollte cr dicses Wort brechen? Um einer
schnöden Geldheirat willen? Sollte er sein ganzes junges Liebes-
glück zum Gpfer bringen, um an dcr Seite eines ungeliebten, hoch-
mütigen, ränkesüchtigen weibes, dem es an Adcl der Seele, wie an
Vornehmheit dcr Gesinnung fehlte, dahin zu siechen? (Das wird die
Dame bös verschnupft haben, lachte der Graf in sich hinein, dann
las er weiter): Nein, nein und tausendmal ncin, rief es in ihm.
Lieber ein Leben voll Arbeit und Lntbehrung, als ein Leben in
Glanz und Fülle unter solchen Umständcn. Lr packte heimlich seine
Sachen, verständigte Ulariannc durch eincn vertrautcn Diener und
unter dem Vorwande, einige Tage auf die Iagd zu reiten, verstand
er es, den alten schlauen Fuchs von jdapa hinters Licht zu führen . . .

Der Graf sxrang auf und warf das Zeitungsblatt wütend auf
don Boden.

„Mas?" schrie er, „ich ein alter schlaucr Fuchs! Nicht genug,
daß mir mein Sohn vor der Nase durchbrennt, wagt es dicser Frech-
dachs von cinem Federhelden mich auch noch zu beleidigen? lvarte,
das sollst Du mir büßen l"

-i- *

-i-

Drei Tage waren seit dem oben geschilderten vorfalle vergangen,
und obwohl man reitende Boten nach allen Richtungen hin gesendet
hatte, war doch nirgends einc Spur von dem jungcn Grafcn aufge-
funden wordcn. Die betrogene Braut rüstete sich bereits zur Ab-
reisc, und der alte Graf war in verzweiflung.

„lllöchte er doch dahin sein und niemals wiederkehrcn, was
läge l»ir daran!" rief cr aus. „?lber was er nicht weiß, was nie-
inand auf der lvelt wciß, nicht einmal der verfasser der ,Geldheirath
das ist der Unistand, daß ich ruiniert bin, gänzlich ruiniert. Nieine
Güter sind übcrlastet, und ich habe nicht einmal mehr so viel bares
Geld im ksause, um mcine Domestikcn zahlen zu können.

Aber was tun?

wie leicht kann ein scharfsinnigor Leser nicht den
Sxuren dieses Romanes nachgehen und der reichen Schaf-
züchterstochter, nun sie ihren Bräutigam verlorcn hat, kserz
und lfand antragen. Nlan hat dergleichen mehr als ein-
inal erlebt. Nein, das darf unter keinen Umständen ge-
schehen, lieber heirate ich sie selbstl"

Und der Graf zog weiße ksandschuhe an und machte
der Schafzüchterstochter einen Antrag, als sie eben im Be-
griff war, in den wagen zu steigen. Die Dame besann
sich einen Augenblick, dann sagte sie: „Ja".

„Iedoch nur unter der Ledingung," fügte sie hinzu,
„daß wir ein Iahr lang in Neapel oder sonstwo verleben.
Denn der unerwartete Schluß der „Geldheirat" wird in der
Gesellschaft viel Staub aufwirbeln und nns zur Zielscheibe
ihres Gespöttes machen."

Der Graf war mit dem vorschlagc einverstanden und
verzichtete auch darauf, den Autor wegen des ,alten schlauen
Fuchses' auf krumme Säbel zu fordern.

Der Neklamemann.

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