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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 50.1902 (Nr. 601-613)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16552#0032
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Meggendorfer - Blätter, ünchen


morgen, um diese Stnnde zu mir, dann soll sich entscheiden,
wer beschieden ist, diesem volke lferrscher zu sein."

Der weise Ragosim verneigte sich wiederum sehr tief und
ging. Die Fürstin aber saß lange allein, grübelnd und über-
legend, und tausend wundersamc Gcdanken jagten durch ihren
kleinen schöncn Ropf.

Lndlich lächelte sie. Lin sonderbares Lächeln, wie es den
Frauon eigen ist, wenn sie den tltännern eine rechte Teufelei
zufügen. Dann sandte sie ihre getreueste Dienerin und ließ
den jungen, mutigen Aiusin zu sich entbieten. Und sie flüstertc
lange und zärtlich mit ihm, und das Lnde war, daß er ihr zu
Füßen stel und dankbar ihre tsände küßte. Sie blickte nach-
denklich anf ihre zarten, rosigen Finger. Denn so sein und
weich und so geschickt sie auch waren — eines vermochten sie
doch nichti empfangene Uüsse zu erwidern. 5ie entzog ihm
die lsände und warf ihm — gram dem Lsandkuß — oine Auß-
hand zu. Da begrisf der blöde Tor endlich und küßte sie flam-
mend und verzehrend auf die schwellenden Lixpen ....

tlm andern Tage, zur festgesetzten Stunde, traten zehn
Freier, die Ldelsten des Stammes, vor die Fürstin; unter ihnen
der alte, wcise Aagosim und der junge, törichte Aiusin.

Und Satsuma sprach:

„Ihr seid gekommen, um zu werben um meine lhand, und
der greise Aagosim wird euch gesagt haben, daß ich sie dem
kUeisesten unter euch anvcrtrauen werde. Nun wohl! Seht
diesen großen Teppich, welcher den Boden des Nebengemaches
süllt. In der Ukitte dieses Teppichs liegt ein blitzender Brillant-
ring, sein prächtiges Farbenspiel ist bis hierher zu schauen.
Diesen Ring erhielt ich als Brautgabe von meinem heimge-
gangenen Lhegemahl. Wohlan, demjenigen von cuch
will ich mich zu cigen geben, welcher mir den Ring
überreicht, ohne den Teppich mit den Füßen zu be-
rühren. Lr ist der rechte Ukann. Uersucht euer bseil und
strengt euren 5charfsinn an."

Betroffen dachten die Freier einige UUnuten über diese
schier unlösbare Aufgabe nach. Lin sonderbares Verlangen
von dieser Fürstin! wie es erfüllen?

Nun,. schließlich kam es ja auf einen versuch an. Der
Längste von ihnen begann nach dem funkelnden Ring zu greifen.
Doch, er mochte sich strecken und dehnen und winden, wie er
wollte — er konnte des Ringos nicht habhaft werden. Gleich
ihm mißlang der Versuch auch den übrigen, die der Reihe
nach ihr kseil versuchten; uur der alte Uagosim und der junge
Aiusin hatten sich noch nicht bemüht.

Uagosim trat vor, mit siegessicherer Ukiene. Alle sahen ihn
schadenfroh an. U?ie durfte der Alto, der kleinste an Wuchs,
sich an eine Aufgabo heranwagen, welcher sie alle — im wahr-
sten 5inne des Wortes — nicht gewachsen waren.

Aber schau, was ist das? Der weise Mann nimmt den
Stab, der ihm als Stütze dient, beugt sich weit vor und ver-
sucht, mit dem Griff des Steckens, den Ring zu erreichen. Die
schöne Satsuma ist sehr bleich geworden, der arme Aiusin zittert
an allen Gliedern.

Aufs höchste gespannt sieht alles zu. Nur eine winzige
Lntfernung noch trennt die Krücke des Stockes von dem be-
gehrenswerten Ring. Aagosim beugt sich noch weiter vor —
da — ein Aufschrei — der Alte hat das Gleichgcwicht verloren
und fällt der Länge nach aus den Teppich. Aagosim erhebt sich
wütend, reibt die schmerzende Nasonspitze und zicht sich zurück.

Nun tritt der letzte, Aiusin, in die Schranken. Lr ver-
neigt sich vor der erglühenden Salsuma, bcugt sich nieder, und
dann rollt er den Teppich langsam so weit anf, bis
er, ohne ihn zu betreten, den Ring mit Bequemlich-
keit aufheben kann.

Die allgemeine Spannung löst sich in bcgeisterten Rufen
ob der weisheit des Iünglings. Man beglückwünscht ihn neid-
los, und selbst der alte Aagosim spricht: „Der Segen Allahs
ruhe auf Dir, mein Sohn, der Du der Würdigste von uns allen
bist. wir huldigen Dir, als unserem Fürsten, denn Du hast
Dich als ein wahrhast weiser Mann erwiesen."

Und alle stimmten cin. Und sie sahen nicht die verlegene
Röte, welche in des Iünglings srischen wangen aufgestiegen,
und nicht das flüchtige Lächeln lcichten Spottes, wclches um
Satsumas schönen Mund znckte.
 
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