Die beiden Weisen sahen sich lächelnd an.
„lNan hat Luch belogen."
Das Volk stutzte und murrte.
„Sehtl" sprach der eine der weisen, welcher ein Forscher
der Natur war, „seht, liebe Freunde, die heilige Feme wirkte
in Deutschland vor vier Iahrhunderten. Der Baum dort drau-
ßen aber ist noch nicht drei Säkula alt. Wie können jene
Richter unter ihm gesessen haben, da er noch gar
nicht war?"
Der andere aber der Weisen, welcher ein Aun-
diger war der früheren Zeiten, räusperte sich und
sxrachi „5eht, liebe Freunde, die heiligc Feme
wirkte in Deutschland hier und dort, in Westfalen
und in Schlesien und sonst wo. Aber niemals hat
ein Freistuhl in Luerem Lande gestanden. wie
können sie getagt haben unter Lurer Linde, da sie
doch nieinals hier waren?"
Da wurden die Leute sehr traurig, daß ihre
gute alte Linde keine Femlinde war. Sie ergrimm-
ten, daß man sie belogen hatte. Sie strömten vor
das Tor und schlugen den alten, lügnerischon Baum
mit Aexten um und verbrannten sein Gehölz.
Die Alten aber klagten: „wo sollen wir jetzt
alltags ruhen vor den brennenden Strahlen der
Sonne?" Die Iungen klagten: „U?o sollen wir uns
jetzt Sonntags jubelnd im lireise drehen?"
Die beiden tVeisen aber wanderten wciter.
Und sie kamen nach Neudortz der rührigen Stadt
am breiten Flusse.
Und sie fragten dic Linwohner: „Was habt
Ihr hier für Ulerkwürdigkeiten?"
„Nicht viel, das Luch, gelehrte bserren, fesfeln
könnte. Ls müßte denn gerade eine alte Fem-
linde sein, in deren Schatten sich alltags die Alten
ruhen und Sonntags sich das junge volk im Tanze
dreht."
„Wo ist die Linde?"
„Draußen vor dem Tore."
Die beiden Wcisen gingcn zu ihr und kehrten
lächelnd zurück.
„Man hat Luch belogen."
Das Volk aber murrte ob der Rede der weisen
Ulänner. „Seht!" sprach der eine, „die heilige
Feme wirkte in Deutschland vor vier Iahrhunder-
ten. Der Baum dort draußen aber ist kaum zwei
Säkula alt. wie können jene Richter unter ihm
gesessen haben, da er noch gar nicht war."
Der andre aber sprach: „Niemals hat bei
Tuch ein Freistuhl gestanden. U?ie können sie ge-
tagt haben unter dieser Linde, da sie doch gar nicht
hier waren?" Da ergrimmte das Volk nur noch
mehr.
„U)as geht Luch unsre alte Linde an, daß Ihr
ste schmähet?"
Liner dcr bsitzigsten aber aus der Uionge rief:
„Und ist es keine Femlinde, so werde es eine!"
Da ergriffen sie die beiden Nleisen und stießen sie
vor das Tor, hingen sie an den Aesten der Linde
auf und verbrannten ihre Uörxer, daß die Asche
in alle lvinde stog.
N)ie vordem aber saßen die Alten im Schutze
der mächtigen Zweige, und die Iungen drehten ihr
Liebchen im Tanze unter ihr.
Das volk abcr und die Fremden aus allcn
Ländern ftrömten zur alten Femlinde, um sie zu betrachten.
Und Neudorf wurde eine große und mächtige und reiche Stadt,
als Altdorf bei den Ukenschen längst vergessen war. —
Strahlend stand nach wie vor die Wahrheit in prangender
Schöne am Throne Gottes. Die Lüge aber hatte sich scheu in
die lvelt geschlichen und Uienschen glücklich und groß gemacht.
Lem Standpunkt.
Referendar (im Alelier oines berühmte» Malers): „Donnerwetter! Der
Mensch leistet Erstaunliches — und dabei hat der Aerl nicht einmal
Ius studiert!"