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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 51.1902 (Nr. 514-526)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16553#0063
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Zeilschrift sür tsumor und Aunst

59


durch eine schleunige Vrdre zum Ministerpräsidenten berufen.

Dieser empstng ihn aufs freundlichste.

„Wie Sie wissen, lserr Levy, ist die Stelle des Finanzministers
vakant geworden. Der alte ging, weil er sich den neuen Ideen
nicht anpassen wollte, die verwirklicht werden sollen. Ls sind so
viele staatliche Gelder und Werte da, die müßig liegen und die
zum allgemeinen Verteilen wie geschaffen sind. Auch gedenken
wir für die nächsten Iahre die Steuern zu erlassen. Ilm alles das
ins werk zu setzen, können wir als Finanzminister nur einen
solchen edlen, uneigennützigen Menschen gebrauchen, wie Sie sind.
Der Ruf Ihrer Selbstlosigkeit ist zu uns gedrungen. Wollen
Sie Minister werden? Wir geben Ihnen unumschränkte voll-
macht, und der Fiskus ist gern bereit, sein Letztes herzugeben."

lserr Levy wußte sich ebenfalls vor Freude kaum zu fassen.
Den fdosten eines Finanzministers, der keine Rechenschaft zu
geben braucht, hätte er schon lange gern angenommen, aber im
Begriff, seinen Dank zu äußern, ward er durch den Instiz-
minister unterbrochen:

„verzeihen Sie, tserr Ministerxräsident, wenn ich nachträg-
lich einen Vorbehalt äußere, der mir in Bezug auf mein Ressort
eingefallen ist. Ich bin ja auch gern damit einverstanden, daß
alles verteilt wird, wie gexlant, aber eine gewisse Grenze
müssen wir dabei beobachten. Wir haben im Staate nicht nur
gute Bürger, sondern auch verbrecher, und die müsfen wir doch
einsperren, unterhalten —"

Der Iustizminister hatte noch nicht geendet, da stürzte
atemlos der Polizeiprasident herein.

„lsaben Sie sie schon gehört, die neue Aunde? Sitze ich
da ahnungslos auf meinem Bureau, da naht ein großer Zug
Menschen, sämtliche mit Fesseln versehen, die sie sich freiwillig
hatten anlegen lassen, und mit einem Strick um den ksals. Ls i
waren alles llebeltäter, Verbrecher, Defraudanten u. s. w., die
noch nicht entdeckt waren, an ihrer Sxitze der Aassierer des
lserrn Levy. Sie trngen ihr Anliegen vor, bekannten ihre
vergehen und verlangten alle, schleunigst anfgehängt zu werden,
damit der Staat von ihnen befreit werde nnd ihre Unterhaltung
uicht mehr zu bestrciten brauche."

Während die bserren über diesen seltenen Fall sich bespra-
chen, entfernte sich eiligen Schrittes ein Reporter. Lr hatte
schon tagelang am lsungertuch genagt, weil er eine erwähnens-
werte Neuigkeit nicht hatte auftreiben können, selbst nicht mit
lsilfe seiner Finger, aus denen er sich schon so viele Nachrichten
gesogen hatte, daß sie ihn jetzt im Stich ließen. In seiner
Verzweiflung hatte er einem guten Freunde, dem Uammerdiener
des lNinisterxräsidenten, seine Not geklagt, der ihm Rilfe ver-
sprach. Lr erzählte ihm die wunderbare Alär von der Ernen-
nung des lserrn Levy zum Finanzminister und hatte dann seinen
Freund, den Reporter, in ein Versteck xlaciert, von wo aus er
die Unterhaltung belauschen könne.

Eilig und siegesgewiß rannte der Reporter zur Redaktion,
um die sensationelle Neuigkeit, die er gehört, und die ihn mit
einem Schlage zum berühmtesten der Reporter machen mußte,
schnellmöglichst zu überbringen. Eine glänzende Zukunft stand
nunmehr vor ihm, er träumte sogar von einem Brötchen mit
Aaviar, seiner Lieblingsdelikatesse, die er — ach schon so lange
nicht mehr genossen hatte.

Da plötzlich stand er vor der Lüre der
Redaktion still. Ihm fiel ein, daß er ja auch
Anhänger der neuen Ideen war. „Pfui ,und
Deinen Aollegen willst Du die schöne Neuig-
kcit in so gehässiger Weise wegnehmen,"
sprach der Gute zürnend zu sich selbst, „hin
Zu dem langen Uküller, der Dich nculich noch
aufgezogen hat wegen Deiner lllißerfolge und
erzählst ihm die ganze Sache. Ich will,"

fuhr er in seinem Selbstgespräch fort, „ja gern als ungeschickter
Dummkopf gelten, wenn ich nur weiß, daß der lange lNüller
dadurch den Ruf höchster Findigkeit und Tüchtigkeit erlangt.

Noch schneller, als vorhin zur Redaktion, rannte er nun
zum langen lNüller, der, wie er genau wußte, jetzt faul auf dem
Sofa lag und wartete, bis ihm der liebe Gott aus den blauen
wolken eine gute Neuigkeit zusenden würde. „Dem lNanne
kann geholfen werden," dachte unser lseld, „ich werde wohl-
wollend dafür sorgen —"

„lseda, wohin so eilig, Sie lNenschenkind da?" rief ihn
jemand an. Ls war der Schneider Zick, der atemlos ihm in
die Ejuere rannte.

„Ich suche Sie schon überall wegen einer sensationellen
Neuigkeit, die Sie brühwarm Ihrer Redaktion überbringen
können."

Nnd der menschenfroundliche Schneider erzählte dem Re-
porter die Geschichte mit dem Studenten Trinkaus und fuhr
forti „Aaum war ich wieder zu lsause, da trat mein Aunde
Trinkaus bei mir ein, legte den neuen Anzug, den ich ihm ge-
bracht, die quittierten Rechnungen und die fünfzig lNark wieder
hin und sagte: „Liebster llteister Iick, verübeln Sie mir nicht,
wenn ich Ihre Geschenke nicht annehmc. Ich komme soeben
aus dem Aolleg, wo ich einen großartigen vortrag unseres
Professors gehört habe, der mich zu seiner neuen philosophischen
Lehre bekehrt hat. Ich bin davon so ergriffen, daß ich mich
gründlich ändern werde. Zunächst will Ihre Rechnnngen be-
zahlen." — Ich unterbrach ihn ganz erstarrt, denn so etwas
hatte ich noch nie gehört. Trinkaus schien mein Lrstaunen
wahrgenommen zu haben.

„Glauben Sie nicht, daß es mir Lrnst ist?"

„Ia, das schon," erwiderte ich, „aber woher wollen Sie
denn das Geld nehmen? Ltwa anderweitig schuldig bleiben?
Nein, das geht nicht, das wäre gegen —"

„Beruhigen Sie sich," unterbrach Trinkaus mich, „Sie wis-
sen ja gar nicht, was ich vermag, wenn ich nur willl Ich
werde von jetzt ab sparen, wo und wann ich nur kann, und
mir vor allen Dingen das Biertrinken, das Rauchen, das Bum-
meln und sonstige Allotria abgewöhncn. Ich will ja gern nur
noch lvasser trinken und trockenes Brot essen, wenn mein Schnei-
der — aber da nehmen Sie doch!" llnd dabei steckte er mir
die fünfzig llkark in die Taschc.

Plötzlich erwachte ich und bemerkte, daß ich an dem warmen
Sommerabend über der Lektüre eines xhilosophischen Buches
auf einer Bank im Tiergarten eingeschlafen war. Oor mir
stand der Führer einer Ariminalpatrouille, dcr mich geweckt
hatte, während in dem Gebüsch nebenan ein gcwisses Ttwas
sich davonzumachen suchte, jedoch soeben von zwei Uriminal
beamten gefaßt wurde.

„Gut, daß wir noch rechtzeitig dazukamen," meinte der
Führer, „sonst hätte der Leichenfledderer, der neben Ihnen saß
und verdächtige Bewegungen nach Ihrer Tasche hin machte,
Sie noch gründlich gefleddert."

Lrschrocken fuhr ich nach meiner Tasche,um zu sehen, ob mein
portemonnaie noch vorhanden war. Aber — Gottes Wunder,
nicht nur das, sondern — noch zwei fremde
dazu! Iedenfalls hatte der Leichenfledderer
im kritischen Augenblick meine Tasche als
Abladungsort für gestohlcne Vbjekte benützt,
damit sio bei ihm im Fall der verhaftung
nicht gefunden wurden, denn er war von den
Uriminalbeamten bereits umstollt gewcsen.

llnd mcin Traum übertrug sich gewisser-
maßen auf die lvirklichkeit.
 
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