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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 51.1902 (Nr. 514-526)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16553#0086
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82

M e g g e ii d o r se r - B l ä t t e r, München

Im Iahre 2002.

lung im Schausaal an oder ersreuen uns an den Tonstücken der
Sxielleute."

Goldstein warf eincn langen Blick auf den schlanken, lilassen
tferrn. Lin wunderlicher Menschl

„Lgal wohin! Nur daß man sich nicht ennuyiertl sdardon
— was sind das sür respektable Automaten?"

„Sie meinen die großen Abgeber? T>a erhalten Sie sür
ein Zehnmarkstück einen leichten, seinen Sommeranzugl"

„Da haben's die Betrüger leichtl" lachte der Rommerzienrat.

„Wieso? Der Abgeber nimmt nur Gold anl"

„Aber die Anzüge haben doch verschiedene Größe?"

„Gewiß, Sie brauchen nur den thebel rechts auf die be-
treffende Nummer zu stellenl Ist Ihnen das nicht bekannt?
Sie sind Ausländer, nicht wahr?"

Oer Aommerzienrat brummte Unverständliches in den Bart
und folgte seinem FLHrer in einen schattigen Ronzertgarten.

„Lrlauben Sie, daß ich Ihre Ansage gleich mit bezahlel"

„Dann kause ich die Programmsl" entschied Goldstein.

„Lin besonderes Gcld ist nicht zu entrichten — ah, Sie
meinen diese Ansagen? Darf ich bitten?" Lr überreichte dem
Verblüfften einen der dünnen, bunten, bedruckten Zettel. —
Die beiden nahmen an einem zierlichen Tische jdlatz und muster-
ten die Vorübergehenden.

„Verkehren hier lauter Maler?" fragte der Aominerzienrat
nach einiger Zeit neugierig.

„Iene Lserren dort — mit den langen bsaaren?"

Goldstein nickte.

„Das sind junge Ladner. Die machen nur die neueste Mode
mitl"

„Iunge Lad—ner?"

„Ich sehe, daß Ihnen noch einige Uebersetzungen sremd
sind, therr ksandelsrat. Sie sprechen übrigens schon ganz hübsch
geläufig deutsch. — Ein Ladner ist ein Berkäufer in einem
Ladenl"

„Ach, Aommisl" brummte der Belehrte. „Dort steigt einer
in ein Automobil. Sind denn die Leutchen so wohlhabend?"

„Wie sagten Sie — Automobil? Vor hundert Iahren
hießen die Dinger so — jetzt nennt man sie Sslbsterl"

„Selbster? Was soll das nun wieder. So ein Unsinnl"

„UDarum?" fragte der lsochmeister im hochsten Grade er-
staunt. „Der Wagen geht doch von selbstz ohne Benützung der
Pferdekraft. Man kann ihn selbst fahren, lenken. Doch ent-
schuldigen Sie bitte einen Augenblick — ich sehe drüben einen
alten, guten Freund . . ."

„Bitte, bitte . . ."

Der ksochmeister war plötzlich im Gewühl verschwunden.
Lr blieb verschwunden. Nach ungefähr zehn Minuten kam ein
Uellner an den Tisch und forderte den lherrn lhandelsrat zum
Iahlen auf. „Der Garten wird in einer halben Stunde ge-
schlosfenl" erklärte er.

Goldstein, dem schon gajrz wirr und wüst im Aopfe war,
wollte nach der Uhr sehen. Lr ließ die Hand erschrocken sinken.
Die Ulestentasche war leer. Lr durchsuchte schnell die andern
Taschen. —

„Ich bin bestohlenl" schrie er entsetzt. „Meine goldene
Uhr — meine Brieftasche — mein portemonnaie . . ."

Der Aellner zuckte die Achseln.

„Zwei Flaschen Rheinfeuer, Marke I — macht sechzehn
Mark I"

„Ich bin düpiert, betrogen — hören Sie nicht?"

„Das kennen wir schon, mein lherr. Sie sollen niemand
mehr prellenl" Lr pfiff und im Nu tauchten zwei Schutzleute
auf. viele Leute drängten sich neugierig heran.

„Aommen Siel" sagte der eine Strafwart mit strengem
Blick und faßte den Tobenden am Arm.

„Was fällt Ihnen ein? Ich bin der Uommerzienrat Gold-
steinl" — Die Umstehenden lachten.

„lha ha ha — Uoinmerzienrat — das gibt's ja gar nichtl
Betrügerl Gauner! — Das kann ihm vier Iahre Zuchthaus
einbringeu, die Gesetze sind streng heutzutage," bemerkte oiner
aus der Meuge. — Dem armen Goldstein perlte der Angst-
schweiß auf der Stirn.

„Schaffen Sie einen Uriminalkommissär her — ich lasse
mich nicht arretieren."

Der Schutzmann wurde grob.

„Mas Sie da zusammenschwatzen, versteht kein Mensch!
lUollen Sie nun gutwillig folgen oder nicht?"

Lr schüttelte ihn so heftig am Arm, daß Goldstein — er-
wachte. — —

Der Aommerzienrat seufzt und holt tief Atem. Ls friert
ihn. Vier Iahre Zuchthaus — brrrrl Tntsetzlichl Lr reibt
sich die Augen und richtet sich schnell auf. Mit einer gewissen
Aengstlichkeit blickt er im Ziminer umher. N?ar das wirklich
nur ein Traum? Tin seltsam beängstigender — ein ganz
merkwürdiger Traum . . .

Goldstein zieht die Vorhänge zurück und helles Sonnen-
licht flutet herein. Tin wonnig Glück — er lebt noch im alten
Iahrhundert — man schreibt neunzehnhundertzwei, nicht zwei-
tausendzwei. Aber aufregend war —schauerlichl lVie man
sich doch lächerlich machen kannl

Ltwas Nutzen hat er von dem Traume gezogen. Goldstein
erschrickt jedesmal, wenn ein Fremdwort über seine Lippen
geht; er hat auch den aufrichtigsten lvunsch, sich zu bessern.
Man könnte doch einmal hundert Iahre alt werden.

i

Vrimitw.

Stationsvorsteher (>m wartcsaal Z»»I Laucr): „ivie kommst
Du dazu, Dich auf den Rohrstuhl zu setzen, Seppel? . . Der
ist doch für die Fahrgäst' erster und zweiter Rlass'."
 
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