Zeitschrift für jsiuiiior unü A u n st
s07
Doppcües Gesicht.
Äe^ec^tei.' Student (die Rechnung durchlesend, die ihm der Aellner
hinhält): „Iweitausend . . . zweihundert. . . zweiundzwanzig Nlark
gut, anschreiben!"
Das ^errissene Knopfloch.
s war einmal ein sehr netter, blonder Magistratssekretär,
der sehr unglücklich war. Eine böse Aüchenfee, die im
Dienste eines hinterlistigen Bier- und Weinzauberers stand,
hatte ihm durch einen alten Schweinebraten ein gar unangenehmes
Magenleiden hinaufgehext, so daß der besagte kserr Sekretarius
äußerst seierlich schwor, nie mehr wieder die Bude dieses Mein- und
Bierzauberers aufzusuchen, der mit aufgewärmten Braten die Leute
unglücklich machte. Der kserr piagistratssekretär Lionell faßte aber
auch sofort den Lntschluß, zu heiraten. Das war aber nun nicht so
leicht, denn in Lserrn Lionells kserz teilten sich vier junge Damen,
die mit allen Vorzügen des Leibes und der Seele ausgestattet waren.
kvelcher sollte er die Lsand zum ewigen Bunde reichen?
Rechtzeitig fiel ihm noch ein, daß die Märchenxrinzen zu allerlei
verkleidungen nnd Listen ihre Iuflucht nahmen, um die guten
Ligenschaften ihrcr Lserzensdamen zu xrüfen. Freilich ging es nicht
an, daß ein wohlbestallter Magistratssekretär sich als Hirte oder
Iigeuner seiner Angebeteten nähere, wie es die sehr geschätzten
prinzen im MLrchen taten. Herr Lionell dachte deshalb an ein an-
deres, moderneres und xraktischeres Mittel, um die Liebe, Treue
und Tugendhaftigkeit seiner vier Damen zu erxroben und jene als
sein weib heimzuführen, die diese Probe glänzend besteht. Das
Mittel mußte außerdem so beschaffen sein, daß es sich auf alle vier
Damen gleichförmig anwenden ließ und kserrn Lionell vor allem
darüber Aufschluß gibt, ob die Lrwählte in ihrem künftigen Beruf
als bsausfrau tüchtig sei.
An einem trüben Sextembersonntage holte er aus seinem Aleider-
schrank einen etwas ältlichen Gehrock, der ihm zwar noch famos
paßte, der aber doch schon sehr gelitten hatte. Insbesondere war
eines der Anoxflöcher zerriffen und zerfranzt. Aber das war kserrn
Lionell gerade recht. Lr beschloß sofort mit diesem Gehrock die vier
Familien seiner kjerzensdamen zu besuchen und dabei genau zu be-
obachten, welche wirkungen das zerrissene Anoxfloch auf die vier
jungen Damen ausüben werde.
2a Fräulein Ldith von Falkenhain — die kleine Ba-
ronesse, wie sie genannt wurde — ihm zunächst wohnte,
begab er sich zuerst zu ihr. Lr wurde von Mama und
Tochter sehr liebenswürdig emxfangen. Ganz besonders
von der kleinen Ldith, mit der er so gut wie verlobt war,
da er sie neulich bei einem Aränzchen stüchtig auf die
Stirne geküßt hatte. Ls muß allerdings bemerkt werden,
daß bjerr Lionell auch mit den drei andern Damen so gut
wie verlobt war, da er auch diese bei verschiedenen Ge-
legenheiten mehr oder weniger stüchtig auf die Stirne ge-
küßt hatte.
So liebenswürdig wiama und Tochter mit Lserrn
Lionell anfangs waren, so rasch erkaltete die Freundlichkeit,
als sie Lionells etwas defekte Aleidung musterten. iNama
und Tochter warfen sich verständnisvolle Blicke zu, die
kserr Lionell nicht übersah. Als man immer kühler wurde,
suchte er einen vorwand, um sich zu empfehlen. Die
Damen begleiteten ihn nicht einmal bis zur Türe, wie sie
es sonst zu tun pflegten, sondern verabschiedeten sich sehr
kurz und rasch.
bserrn Lionell war es aber gerade recht.
Im vorraum blieb er einen Augenblick stehen, um
zu hören, welches Urteil Mama und Tochter über ihn
fällen.
„Ach Mamal" xiexste Fräulein Ldith, „hast Du bserrn
Lionell genau angesehen? Der kommt ganz herabl"
„wie der Mensch aussieht! Ganz defektl Zerrissen
und zerfranzt!" antwortete Mama entrüstet. „Und er war
früher so nettl"
„Uut einem zerrissenen Anopfloch wagt es der Ukensch,
in Gesellschaft zu gehenl Das ist unerhört. Aber bürger-
lich bleibt eben bürgerlich . . . Diese Leute eignen sich nur
schwer vornehme Gesinnnng an . . . Nein Ldith, den
Nkenschen darfst Du nicht heiraten . . ."
bserr Lionell eilte fort, so rasch als möglich. Das zer-
rissene Anoxfloch hatte ihm einen großen Dienst erwiesen.
Ls bewahrte ihn vor einer eingebildeten, mit Standes-
vorurteilen erfüllten Frau.
Ietzt besuchte bserr Sekretär Lionell den Großindu-
striellen Gbermayer, defsen Tochter Glga seine zweite
bserzensdame war. Gbermayer hätte es schon lange gerne
gesehen, daß kserr Lionell seine Tochter heiratete, da er
bei seinen großen Unternehmungen fortwährend einen
guten Freund beim Magistrat brauchen konnte, um den
weg von Lingaben nnd Gcsuchen zu beschleunigen und
mancherlei durchzusetzen, was ein anderer nicht vermochte.
Lr wurde wie immer sehr aufmerksam emxfangen
und sofort in ein Gespräch über Ibsen verwickelt, da das
Fräulein eben eine neue Arbeit dieses nordischen kselden
studiert hatte. Uiitten in der Zergliederung Ibsens rief
das sehr lemxeramentvolle Fräulein Glga entsetzt aus:
„Aber kjerr Lionelll Ihr Unoxfloch ist ganz zerrissen!...
wie können Sie denn einen solchen Rock noch länger
tragenl" . . .
bserr Lionell stammelte rasch mehrere Lntschuldigungen.
„Nein, so etwas I Sie sind sonst so sorgfältig ge-
kleidet und heute kommen Sie mit einem zerrissenen
Rnopfloch daher. Oen Rock hätte ich doch schon lange
weggeworfen I"
„Ach — verzeihen Sie, gnädiges Fräulein I" ermiderte
bserr Lionell. „Diesen Fehler habe ich ganz übersehen.
Ich will ihn aber auch sofort gut machen. Gestatten Sie
mir, daß ich mich vorläufig empfehle, um nach bsause eilen
zu können und dort das Verbrechen raschestens zu sühnen!"
Und kserr Lionell ging.
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Doppcües Gesicht.
Äe^ec^tei.' Student (die Rechnung durchlesend, die ihm der Aellner
hinhält): „Iweitausend . . . zweihundert. . . zweiundzwanzig Nlark
gut, anschreiben!"
Das ^errissene Knopfloch.
s war einmal ein sehr netter, blonder Magistratssekretär,
der sehr unglücklich war. Eine böse Aüchenfee, die im
Dienste eines hinterlistigen Bier- und Weinzauberers stand,
hatte ihm durch einen alten Schweinebraten ein gar unangenehmes
Magenleiden hinaufgehext, so daß der besagte kserr Sekretarius
äußerst seierlich schwor, nie mehr wieder die Bude dieses Mein- und
Bierzauberers aufzusuchen, der mit aufgewärmten Braten die Leute
unglücklich machte. Der kserr piagistratssekretär Lionell faßte aber
auch sofort den Lntschluß, zu heiraten. Das war aber nun nicht so
leicht, denn in Lserrn Lionells kserz teilten sich vier junge Damen,
die mit allen Vorzügen des Leibes und der Seele ausgestattet waren.
kvelcher sollte er die Lsand zum ewigen Bunde reichen?
Rechtzeitig fiel ihm noch ein, daß die Märchenxrinzen zu allerlei
verkleidungen nnd Listen ihre Iuflucht nahmen, um die guten
Ligenschaften ihrcr Lserzensdamen zu xrüfen. Freilich ging es nicht
an, daß ein wohlbestallter Magistratssekretär sich als Hirte oder
Iigeuner seiner Angebeteten nähere, wie es die sehr geschätzten
prinzen im MLrchen taten. Herr Lionell dachte deshalb an ein an-
deres, moderneres und xraktischeres Mittel, um die Liebe, Treue
und Tugendhaftigkeit seiner vier Damen zu erxroben und jene als
sein weib heimzuführen, die diese Probe glänzend besteht. Das
Mittel mußte außerdem so beschaffen sein, daß es sich auf alle vier
Damen gleichförmig anwenden ließ und kserrn Lionell vor allem
darüber Aufschluß gibt, ob die Lrwählte in ihrem künftigen Beruf
als bsausfrau tüchtig sei.
An einem trüben Sextembersonntage holte er aus seinem Aleider-
schrank einen etwas ältlichen Gehrock, der ihm zwar noch famos
paßte, der aber doch schon sehr gelitten hatte. Insbesondere war
eines der Anoxflöcher zerriffen und zerfranzt. Aber das war kserrn
Lionell gerade recht. Lr beschloß sofort mit diesem Gehrock die vier
Familien seiner kjerzensdamen zu besuchen und dabei genau zu be-
obachten, welche wirkungen das zerrissene Anoxfloch auf die vier
jungen Damen ausüben werde.
2a Fräulein Ldith von Falkenhain — die kleine Ba-
ronesse, wie sie genannt wurde — ihm zunächst wohnte,
begab er sich zuerst zu ihr. Lr wurde von Mama und
Tochter sehr liebenswürdig emxfangen. Ganz besonders
von der kleinen Ldith, mit der er so gut wie verlobt war,
da er sie neulich bei einem Aränzchen stüchtig auf die
Stirne geküßt hatte. Ls muß allerdings bemerkt werden,
daß bjerr Lionell auch mit den drei andern Damen so gut
wie verlobt war, da er auch diese bei verschiedenen Ge-
legenheiten mehr oder weniger stüchtig auf die Stirne ge-
küßt hatte.
So liebenswürdig wiama und Tochter mit Lserrn
Lionell anfangs waren, so rasch erkaltete die Freundlichkeit,
als sie Lionells etwas defekte Aleidung musterten. iNama
und Tochter warfen sich verständnisvolle Blicke zu, die
kserr Lionell nicht übersah. Als man immer kühler wurde,
suchte er einen vorwand, um sich zu empfehlen. Die
Damen begleiteten ihn nicht einmal bis zur Türe, wie sie
es sonst zu tun pflegten, sondern verabschiedeten sich sehr
kurz und rasch.
bserrn Lionell war es aber gerade recht.
Im vorraum blieb er einen Augenblick stehen, um
zu hören, welches Urteil Mama und Tochter über ihn
fällen.
„Ach Mamal" xiexste Fräulein Ldith, „hast Du bserrn
Lionell genau angesehen? Der kommt ganz herabl"
„wie der Mensch aussieht! Ganz defektl Zerrissen
und zerfranzt!" antwortete Mama entrüstet. „Und er war
früher so nettl"
„Uut einem zerrissenen Anopfloch wagt es der Ukensch,
in Gesellschaft zu gehenl Das ist unerhört. Aber bürger-
lich bleibt eben bürgerlich . . . Diese Leute eignen sich nur
schwer vornehme Gesinnnng an . . . Nein Ldith, den
Nkenschen darfst Du nicht heiraten . . ."
bserr Lionell eilte fort, so rasch als möglich. Das zer-
rissene Anoxfloch hatte ihm einen großen Dienst erwiesen.
Ls bewahrte ihn vor einer eingebildeten, mit Standes-
vorurteilen erfüllten Frau.
Ietzt besuchte bserr Sekretär Lionell den Großindu-
striellen Gbermayer, defsen Tochter Glga seine zweite
bserzensdame war. Gbermayer hätte es schon lange gerne
gesehen, daß kserr Lionell seine Tochter heiratete, da er
bei seinen großen Unternehmungen fortwährend einen
guten Freund beim Magistrat brauchen konnte, um den
weg von Lingaben nnd Gcsuchen zu beschleunigen und
mancherlei durchzusetzen, was ein anderer nicht vermochte.
Lr wurde wie immer sehr aufmerksam emxfangen
und sofort in ein Gespräch über Ibsen verwickelt, da das
Fräulein eben eine neue Arbeit dieses nordischen kselden
studiert hatte. Uiitten in der Zergliederung Ibsens rief
das sehr lemxeramentvolle Fräulein Glga entsetzt aus:
„Aber kjerr Lionelll Ihr Unoxfloch ist ganz zerrissen!...
wie können Sie denn einen solchen Rock noch länger
tragenl" . . .
bserr Lionell stammelte rasch mehrere Lntschuldigungen.
„Nein, so etwas I Sie sind sonst so sorgfältig ge-
kleidet und heute kommen Sie mit einem zerrissenen
Rnopfloch daher. Oen Rock hätte ich doch schon lange
weggeworfen I"
„Ach — verzeihen Sie, gnädiges Fräulein I" ermiderte
bserr Lionell. „Diesen Fehler habe ich ganz übersehen.
Ich will ihn aber auch sofort gut machen. Gestatten Sie
mir, daß ich mich vorläufig empfehle, um nach bsause eilen
zu können und dort das Verbrechen raschestens zu sühnen!"
Und kserr Lionell ging.