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Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 15.1893 (Nr. 144-154)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20273#0046
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§6

L. Meggendorfers ^umoristische Blätter.


lsatte einmal bci einer Gelegenheit der Doktor von seiner
Brautreise erzählt, und dcr Gchsenwirt hatte es sich wohl ge-
merkt, es sei Node, daß Brautleute nach der ksochzeit eine
Reise machten. Auch deu Zcitpunkt des Antritts derselben hatte
er aus Umwegen zu erfahren gewußt. Zlls nun seines jdeters
Lsochzeitstag festgesetzt war, hattc er dicsem gesagt: „lsör' Iunge,
da Dn mein Linziger bist, will ich mir Deinen ksochzeitstag
etwas kosten lassen; die lsochzeit geht auf meiue Uosteu und ich
gebe Dir noch 2S Thaler dazu. Du kanust cine lhochzeitsreisc
nach Röln machen und den Fastnachtszug besehcn."

Dem Peter und seinem Lisettchon war's recht. Bach Uöln
zu kommen, don Faschingszug, dessen Ruhm selbst bis in das
weltvergossene, Aalterherberg geuanute Dorf gedruugen war,
zu sehen, hatten beide schon lange gehofft; in der Brautzeit
jedoch gieng dies, wegen des notweudig entstehondcn Dorf-
geredes, nicht an.

Boeben hatto der lherr Lehrer seine Rede auf das Braut-
paar in einem lhoch ausklingon lasscn, als sich dcr Mchsenwirt
erhob und mit den Worten „Ainder, es ist Zeit zur Bahu zu
gehcn" das Bignal zum Aufbruch gab.

Mitlhurrah drängte das jungevolkzur Thüre hinaus,nahm das
Brantxaar mit Iubcl iu die lNitte nnd fort gings, dem Bahnhofzu.

jdastor uud Doktor besprachen ebcu ciu wichtiges Thcma,
der Lchrer hatto sich uach Becudigung seiuer Rede zu ihucn
gcsctzt und nahm ebenfalls am Gespräche teil; so hatten diese
die lvortc dcs Dchsenwirtes überhört und plaudertcu, in dcr
lNeinuug, dasjungeN>olkgchezumTauzindioScheuue,ruhigwciter.

Sie traf also keiue llerautwortuug.

„lDofür?" wird der Leser fragon.

Nun dafür, daß dic beidon in vollem Brautstaat die lhoch-
zcitsreise anzutreten sich anschicktcn.

Die muntre Schaar kam noch gradc zcitig gcnug zum Bahn-
hofe; kaum hatte das Brautpaar den Zug bestiegen, als sich
dicser auch schou, unter einem vielstimmigen „gute Rcise" in
Bewegung sctzte.

Das junge jdärchen plauderte, wic ebcn nur frisch Ver-
hoiratete plaudcrn köunen und merktc uicht das untcrdrücktc
Lächeln des Schaffners, dcr, als cr die Billete revidierte, wohl
zum ersteu Male in seiuem Dienstleben ein Brautpaar in vollcm
„lvichs" die Liscnbahn benutzeu sah.

llier Stationen waren bereits passiert, noch zwei und mau
mußte in Aachen, dem heutigen Reiseziel, aukommcn. Dort
wollte man übcrnachtcn und am Sonntag lllorgcn den ersten
Zug nach Aöln benutzcn.

Allmählich ging der Gcsprächsstoff den beiden Reiscnden
ans, jleter begann sich zu langweilcn und eiuesteils nm zu
sehen, ob Aachen bald in Sicht sei, andernteils um eben etwas
zu thnn zu haben, steckte er seinon Aopf mit dem nagelncuen
Angstrohr durch's Toups-Fenster.

Doch wer beschrcibt sein Lutsctzen, als er plötzlich dcn
ljut vom Aopfe verschwinden fühlt und der dies bewirkcndc
lviudstoß densclben seiuenBlicken cntzieht. llliteinem,Schmerzund
llerger bczeichuenden Gcsichtsausdruck wandte er sich seinem lveib-
chen zu, welches mit eincmSchreckensruf vou seincm Sitze aufspraug.

In llubetracht der noch wohlgefüllten Börse, welche don
Lrsatz des Ausreißers gestattete, legten sich jedoch bald Aergcr
und Schrecken, es war wieder ein neuer lluterhaltungsstoff ge-
funden, eho sic sich's versahcn, verstrich die Zeit nnd „Aachen,
lllles aussteigen!" erscholl der Ruf des Schaffners.

II.

llhr Zo lllin. war's, als unser Brautpaar, augestaunt
von deu wenigen Reisenden und von dcn Beamten der Station,
iibcr den jderron schritt. Dies war jedoch für die Angestauutcn

nur zu begreiflich, denn wie sollte es nicht anffallen, einen
Bräutigam ohue Lylindcr dem Zuge eutsteigen zu seheu.

Der uächste lhutladen wetzt die Scharte aus, dachte jdeter;
aber der Arme hatte die Rechuung ohne die Zeit gemacht. <§s
war halb elf und die Gcschäftc, mit Ansnahmc der Restaurationen,
Tigarren- u»d Karnevals-Artikel-Laden geschlosfen. Liner der
letztcren zog die Blicke des ob seiner nenosten Lntdockung recht
trnbsclig gestimmteu Brautpaares an.

lsier muß Rettung kommen, dachtc Peter, dcnn nie würde
er eiuen Gasthof ohne Uopfbedcckung botreten. lllso: „lscrein
in die gute Stubel"

lvar der Ladeninhaber verrückt? lllit ciuem weithin
schallendcn Gelächtor emxsing er die Tintretenden und sich den
Bauch haltcnd, holxerte er iu's Ncbcnziminer zurück. Die Beiden
hatten jedoch kaum Zeit, ihre Gedaukcu über das sonderbare
Lonehmcn des lllanncs auszutauschen, schon erschien, cin unter-
drücktes Lächeln auf den Lipxen, eine Fran, höflich nach dem
Begehr dor Beiden fragend. lllit kurzeu lvortcn, den Blick zu
Bodcn gcheftet, erklärte dor Bräutigam seinen llnglncksfall und
gab seiiien lvunsch nach cinem neueu Gbjekt zur Bedecknng
seiucs ljauptes zu erkeiinen.

„Ach das macht nichts," mciute dic Ladoiünhabcrin, auf seinc
Aenßerung, daß es ihn ärgere, heutc Abeud keiuen Lylinder
mehr kanfen zu können, „hier ist's hcute schon vollständig Aarne-
val und niemandcn ivird cs auffallcn, wenn Sie mit eincr bunten
llliitze bekleidet durch die Stadt gchen."

Peter gab sich zufrieden und entschicd sich nach einigem
Snchen mit Zustimiuung seines lvcibchens fnr ciu Türkeu-Fes.
Bcim Bezahlen erkundigte er sich anch nach eiuem guten Gast-
hof; der „Aöuig vou Spanieu" wnrde ihm .genanut uud dic
Frau bcgleitcte Leide zur Thüre, um ihneu dcn lveg zu zcigen;
noch „vicl vergnügcn auf die Reise" wünschcnd kehrte sic dann
zu ihrcm lllaune zurück, dessen fortwährendes Aichcrn bewics,
daß ihn der Lachanfall von vorhin noch nicht verlassen habc.

Froh, eincn Schutz scines werton lsauxtes gegen die empsind-
liche Aältc gefunden zu habcu, zog nun Pcter, seiue Lhehälfte
am llrme, die ihm bezcichnetcn Straßen hiudurch zum „Aönig
von Spauien." ljeller Lichtschein siel durch die Fenster des
Lrdgeschosses auf die Straße, driuuen musizierte und sang es
durcheinander, darauf hiudeutend, daß man im „Aönig von
Sxanien" den Aarncval schon bcgonnen habe.

Ltwas beklommenen lserzens traten dio Beiden in's ljaus,
wo der portier sogleich nach ihrem Bcgehr fragte.

„lvir wünschen ein Zimmer für diesc Nacht," sagte jdetcr.

„Steht zn Dienstcn," gab der jdortier zurück und führtc die
lserrschaftcn in eincn kleincu Salon.

Bald erschion ein Aellner, nachfragend, ob dic werten Gäste
zu soupieren wnnschteu.

„ksm! hml" machte jdcter, dachto, es wird wohl lllode sein,
vor dcm Schlafengehou Suppe zn cssen und sagte „Ia."

Dies Ia wurde ihm und seinein lveibchen auch nicht leid;
die aufgetragcncii Speisen waron vorzüglich und beide koniiten
nicht bogreifen, wie man oin solches Abendessen einfach „Suppe"
nenuen köune. Allmählig stellte sich, da beide schon seit dcm
friihesten lllorgen munter waren, Lrmndung ein und jdeter ließ
deu lvuusch nach ihrcm Simmer laut werden. Der Aellner
brachte sie nach Nr. s und cmpfahl sich „angenehme Ruhc"
wüuschend. Boshoftor lvunschl lvie sollteu sie Ruhe finden,
da druuten im Saale weiter musiziert und gcsungen wurde?
So hatten Beidc dcnn llluße, die Lreiguisse des wichtigen Tages
griindlich zu besprecben, was denn auch geschah. Lrst in später,
oder richtigor früher Stunde verlicßen die Gästo das Lokal, die
lllusik verstummte uud uuser Pärchon konute ernstlich daran
denkcn, dcr Ruhe zu pflegen. (jortsetzung foigt.)
 
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