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BEGINN DER HESPERIDEN 1878/79

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Ueberhaupt sei „dieser Zustand höchsten Glückes“ für ihn etwas so Neues
und Ungewohntes, dass es ihm schwer werde, sich zu fassenL 307. Fiedler
liess sich bestimmen, nochmal im März auf ein paar Tage zu kommen, und
gab Marees wieder unverhohlene Beweise festen Vertrauens. Wenn Marees
je gefürchtet hatte, es könnte etwas zwischen sie kommen, jetzt war er Fiedlers
ganz sicher. Die herbe Erinnerung an San Francesco war vergessen. Wenn
Hildebrand gekommen wäre, hätte er ihn umarmt. Selbst Schack, der damals
als neugebackener Graf nach Rom kam, erhielt kein bitteres Wort und wurde
mit freundlicher Herablassung — „scherzando“ nannte es MareesL 324 —
behandelt.

Diese Stimmung verrät den weichen Kern des Zynikers und bestätigt,
was ich früher von den Bedürfnissen des Einsamen sagte. Mit einem Schlage
war es mit den Zweifeln des übervorsichtigen Kunktators vorbei. Die „Lebens-
alter“ sind kein Abschluss der Gestaltung, die ihm damals vorschwebte,
aber der Schluss der mageren Zeit. Die Welt war da, er gehörte zu ihr, sie
verlangte nach ihm. Mit vollen Händen gab er sich hin. „Geist und Körper
sind gestählt, und der Schaffensdämon tobt gewaltig in mir,“ schreibt er im
Mai dem Bruder L31°. Im selben Frühling ist die ganze Komposition des
Triptychons der Hesperiden entstanden.

Das Mittelbild ging aus einer, der Stimmung und dem Motiv nach, den
Hesperiden ganz fremden Welt hervor. Das erste Zeichen für das beginnende
Bild ist eine nahezu dramatische Szene K 372_ Ein sitzender Mann hält mit
flehender Gebärde die gefalteten Hände zu einer nackten Frau empor, die
teilnahmlos geradeaus blickt. Sie ist nachher zu der Hauptgestalt des Mittel-
bildes, der Nymphe zur Linken, geworden: So sah Marees zuerst das Bild,
vielleicht in einer Zeit der Sehnsucht nach der sich, ab wendenden Muse.
Nachher verschwindet alles Dramatische. Die Haltung der Nymphen verliert
das Abweisende. Weder 'einladend noch zurückschreckend blicken sie vor
sich, wie das Wild eines Waldes, dessen Stille nie die Büchse des Jägers er-
schütterte. Marees nannte das Bild die „Sehnsuchtslandschaft“L 309.

Unter den zwölf von Eurystheus ersonnenen Arbeiten des Herakles war
die vorletzte, die goldenen Aepfel der Hesperiden nach Mykenä zu bringen.
Die Hesperiden waren Töchter der Nacht. Ägle, Erytheia und Hesperia
hiessen sie und bewachten mit Ladon, dem Drachen, die Früchte, die einst
Gäa, die lebenspendende Göttin der Erde, aus ihrem Schoss gezogen hatte,
um sie der Hera als Gebinde zur Hochzeit mit Zeus zu schenken. Die Aepfel
waren, obwohl wie alles Gewachsene der Erde entsprossen, die köstlichsten
aller Früchte, weil der Anblick allein, ihr Leuchten in dem Schatten der
Nacht, höchsten Genuss verhiess. Herakles durchwanderte die Welt, weil
er nicht wusste, wo der nächtliche Garten lag. Es war eine lange, gefahrvolle
 
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