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Meier-Graefe, Julius; Gogh, Vincent ¬van¬ [Hrsg.]; Meier-Graefe, Julius [Bearb.]
Vincent (Band 1) — München, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.29620#0224
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Vincent

men. Nur das von Sehnsucht gespannte Auge der Menschen von heute
sah sie. Der Stil verschwieg nicht die Herkunft aus engen Kanälen. Da-
für aber war er ausgetragenes Produkt, eigenes Gewächs, Neuheit.

Nein, der Süden war doch kein Bankerott. Vincent saß zwischen Blumen.
Sie überschütteten ihn. Dankbarkeit überströmte wieder einmal alles Elend.
War es recht, bei der Farbenpracht und dem Duft der Rose nach dem
Dünger ihrer Erde zu fragen? Dies wenigstens nahm man mit. Die Ka-
näle, auf die man angewiesen war, hatten das Bild des ersten Anlaufs in
dem gelohten Lande — damals, als man halb toll vor Entzücken war—ein-
geengt. Es lag kein Grund vor, mit der Leistung zufrieden zu sein. Noch
weniger aber Grund zur Unzufriedenheit mit dem Schicksal. Ließ es ihm
keine Ruhe, den Frühling zu vollenden, so bewahrte es ihm einen Vor-
teil: man war noch nicht zu Ende. Vielleicht hätte er, ganz ungehemmt,
zu schnell den Boden des Bechers gesehen. Jetzt schäumte es wieder wie
im ersten Sommer, und man hatte noch kaum die Lippen genetzt.

Auch die Blumen von Saint Remy sind so etwas wie sehr freie Kopien,
Notstandsarbeit, weil er nicht ins Freie durfte. Ja, sie sind es in mancher
Hinsicht noch mehr als die Bilder nach Millet. Es entging ihm nicht.
Ob man wohl noch einmal auf Arbeit ganz im Freien rechnen durfte,
ohne Notstand? Dann würde man wohl auch in Auvers den Süden finden.

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