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Meier-Graefe, Julius; Gogh, Vincent ¬van¬ [Editor]; Meier-Graefe, Julius [Oth.]
Vincent (Band 1) — München, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.29620#0152
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Vincent

Der Herbst beginnt zu färben. Neue Gelbs — wieviele gibt es noch? Die
Reben bluten. Man möchte nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, nur
sehen, sehen. Wie tragen es die Augen? Manchmal möchte man sich
in ein finsteres Zimmer sperren und schreibt Briefe, um die Augen
abzulenken. Die Bilder sind Erntefeste, Winzerfeste. Die Farben lösen
sich von der Palette, wie Früchte vom Ast. Man brauchte hundert
Hände. Manchmal wünscht man sich den Stumpfsinn von Nichts-
tuern, die vor sich hinvegetieren, herbei, damit es länger dauert.
Gauguin schreibt gedrückt, unzufrieden mit der Arbeit, immer noch krank.
Er kommt, sobald er kann. Das schreibt er nun zum zehnten Male. Als
Ersatz schickt er sein Bildnis, ein verwahrlostes, düsteres Antlitz ohne
Farbe. —Man könnte wütend werden über die Dummheit der Menschen,
die im Norden krank sind und nicht die Energie auf bringen, sich im Sü-
den Gesundheit zu holen. Längst hätte Gauguins Gesicht die Frische und
die Bilder hätten die Farben der früheren aus Martinique, säße er nicht
in Pont Aven. Aber er bleibt in Pont Aven, kommt womöglich nie. Die
Menschen sind träge. Nie fühlte sich Vincent so im Besitze aller Kräfte.
Das gelbe Häuschen füllt sich mit immer strahlenderen Bildern. Und das
war nur der Süden. Wie wäre sonst die Besserung seit Paris zu erklären?
Er schrieb es Theo in jedem Briefe. Jedem Maler, von dem er hörte, ganz
gleich, wer er war, und wo er herkam, ließ er das Rezept empfehlen, dem
Delacroix, Monticelli, Renoir, Cözanne die Gesundheit verdankten. Es
war das Licht ohne Schatten, die Wärme, die einfachen Menschen, der
Wein, das Essen; Dinge, die bei anderer Laune wohl auch einmal andere
Gesichter haben konnten. Im Süden aber war es das gelbe Haus mit den
weißen Wänden und den roten Fliesen. Ja, wer weiß, ob nicht im Grunde
das gelbe Haus wichtiger war als Arles und die ganze Provence.

Das Haus trug dazu bei, der Produktion eine neue Richtung zu geben.
Erst wählte er Bilder, die den weißen Wänden gut standen, und eines

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