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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0310
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JERUSALEM

in Kairo bei Tisch Brauch war, vorstellen wollte und der
gute Mann mich blödsinnig anglotzte, merkte ich es und
schämte mich.

Man braucht mit dem jüdischen Autobus, der alle hal-
ben Stunden geht, zwanzig Minuten bis zum Jaffa-Tor. Auf
den griechischen ist kein Verlaß. Chauffeur und sämtliche
Insassen sprachen Deutsch. Man rückte zusammen. Ich
saß eine Weile auf dem dicken Schenkel eines jüdischen
Doktors, der uns den Weg zur Grabeskirche zeigte. Auf
der Straße fegte der Staub.

Man sollte nicht von Ägypten nach Palästina fahren,
obwohl es praktisch und dank den Waggons-lits so bequem
wie möglich ist. Von Berlin aus fände man leichter An-
schluß, wäre es auch nur an den Feldwebelstil der Kir-
chen, mit denen Wilhelm II. Jerusalem beschenkt hat.
Man erlebt nicht dasselbe wie in Ägypten, sondern zur
Abwechslung genau das Gegenteil. Wir hatten ein halbes
Jahr zwischen Denkmälern gelebt, und ihre Form war
uns so vertraut geworden, daß wir mit den Menschen, die
vor soundsoviel Jahrtausenden die Denkmäler geschaffen
hatten, Menschen von urfremder Beligion und undurch-
dringlicher Lebensart, intim wie mit unseresgleichen ver-
kehrten. Ihre Form wurde uns zum Äquivalent eines
höheren Europa. Dieses nicht gewöhnliche Erlebnis dreht
sich hier um und zeigt eine groteske Bückseite. Alle in
Jerusalem und Umgebung zur Form gewordene Erinne-
rung an den erhabenen Schöpfer des Christentums ist in-
famer Schwindel von abstoßender Häßlichkeit, und man
freut sich nicht der Gemeinschaft mit der hier dokumen-
tierten Kultur. Ihre Form versagt wie ein durchlöcherter
Rock.

Ich habe die berühmten heiligen Stätten mit der
Andacht eines Menschen betreten, der in dem Nazarener
die lichteste, heiligste und vertrauteste Heldengestalt ver-
ehrt, und Langeweile und Ungeduld, Scham und Ekel

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