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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0038
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Auf dem Drobiner Kommando nahm uns ein
Offizier aus den Ostseeprovinzen in Empfang,
schmal und lang, Typ wie Kassel, mit der Sprache
Kayserlings. Er stellte sich vor: Wladimir von M.
Es sei unmöglich, zu telegraphieren. — In dem Raum
lagen zwei Verwundete, der eine bewußtlos, ein
dritter wurde gerade, als wir kamen, von den Sani-
tätern ausgezogen. Das Lokal schien ein erster
Verbandplatz. Die Fenster khrrten fortwährend.
Das Schießen klang sehr nahe. Herrn von M.'s
Zigaretten stammten von der Kaiserin Witwe, Chef
seines Regiments. Er kannte die Pawlowna und
Nidschinski und gab sich über die Möglichkeiten der
Pantomine in den Händen Diagilews der bekannten
Täuschung hin, übersah die Gefahren einer Ent-
wicklung, die dem Tänzer den Tanz zu nehmen
drohte. Nach meiner Meinung war es nur der mon-
däne Erfolg der beliebten Truppe, was den in den
ietzten Pariser Vorstellungen schon recht deutlichen
Niedergang des russischen Balletts verhüllte. Das
wollte er nicht zugeben. Schauspiel stehe doch höher
als Tanz, und man könne mit tanzenden Schauspielern
das Drama von der Psychologie der Ibsen und
Strindberg befreien und mit dem traditionellen
Rhythmus der Tänzer eine neue Konvention der Ge-
bärde schaffen. Natürlich fanatischer Anbeter
Wagners. Netter Kerl, aber vollkommen von aktueller
Begriffsverwirrung verseucht.

Während wir sprachen, krachte eine Flieger-
bombe unmittelbar vor dem Hause. Alle Fenster
in Scherben, Glassplitter im Gesicht. Der Ver-
wundete, den man gerade verband, war aufge-

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