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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0103
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Lamprecht humpelte neben mir in dem Gang. Ich
hatte vergessen, daß er nicht richtig gehen konnte.
Wie infam war das alles!

Er könne sehr gut gehen, sagte Lamprecht. Ich
hatte ihn noch nie gehen sehen.

In der Kantine gab es nur die Anrichte, wo
man kaufte. Aber in der Ecke stand eine Kiste.
Dorthin führte ich ihn. Es war gut hier, man hörte
das Rasseln nur von ferne. Da sich der Kantinen-
mann wunderte, kaufte ich ein Stück Käse. Ich
hatte mir ohnehin einmal Käse kaufen wollen. Es
war ein riesiges Stück, das ich nur mit großer Mühe
in die Tasche der Litewka zwängte. Das Wasser
lief mir.

Wir saßen nebeneinander auf der Kiste. Der
Kantinenmann säbelte mit einem übergroßen Messer
an einem rosa Schinken. Ich kam eine Weile nicht
von ihm los. Natürlich wartete Lamprecht, daß ich
etwas sagen würde. Ich hatte keine Ahnung. Es war
gut, so zu sitzen.

Auch Offiziere, erklärte ich Lamprecht, wurden
ohne Narkose gesäbelt. Es war allgemein.

Er wußte es, wie er alles wußte. Sogar die eigenen
Verwundeten operierten die Russen so. Es reichte
nur für die russischen Offiziere, und auch für die
konnte es einmal ausgehen. Rußland war für das
Chloroform wie ja für die meisten Arzneimittel auf
den Import angewiesen und zwar fast ausschließlich
auf den indirekten Import aus Deutschland über
Rumänien und Schweden.

Also konnte Rußland im Grunde nichts dafür.

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