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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0249
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hatten die Dinge weiter in uns geredet, während wir
still wurden. Auf meinen Wunsch gingen wir kurz
vor Abend noch einmal auf die Terrasse. Ich habe
dir von dem Tag erzählt aber nicht von dem Abend.
Ungefähr in der Mitte der Terrasse, wo tief unten der
Zug den Tunnel nimmt, blieben wir stehen und
blickten über das Tal hinweg in die dunstige Ferne.
Ein Wunderschiff mit goldenen Masten, lag am Rande
des Horizonts die Stadt.

Plötzlich sagte ich: ,,Das kann nicht dauern!"

Ich fühle noch die Schwere meiner Lippen und
das Heisere meiner Stimme. Die Stimme hatte es
ohne meine Absicht gesagt. Keiner widersprach,
ich hatte es gleichsam für uns alle gesagt. Es war
ganz selbstverständlich, es war die allen plötzlich ge-
wisse Wahrheit. Dieses der Schönheit und der Lust
geweihte Wunderschiff, dieser leichte, silbrige Geist,
der alle Menschen, die sich nahten, schwebend machte,
mußte schwinden. Zwar lebte das Paris, das die
Terrasse von St. Germain und die schweigenden
Landhäuser hinter hohen Parkmauern gebaut hatte,
längst nicht mehr. In den Parks schwatzten Spießer
über Politik, und in den Schlössern wohnten keine
Herzoginnen sondern Froschmäuler und Hänge-
bäuche. Aber das hatte uns nie gekümmert. Es gab
längst ein anderes Paris, das nicht mehr baute und
noch schöpferischer, freier und ieichter als seine
Vergangenheit, unendlich freigebiger war; das Paris,
wo man mit drei Sous in der Tasche die Welt kaufte,
wo alle Götzen klein und alle Gedanken groß wurden,
unser Paris. In dem Park der höfischen Feste malte
einer aus Luft und Licht viel reichere Spiele, erfand

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