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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0253
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Ich blieb noch vierzehn Tage ohne rechten Zweck,
lief planlos in den Straßen herum, kaufte unnütze
Dinge, suchte entlegene Plätze auf, aß in allen Re-
staurants, in denen wir in der ersten Pariser Zeit
gegessen haben, bei Vantier auf der Avenue Clichy
und in der kleinen Bar. Ich traf sogar die dicke
Fleuristin, die uns damals Blumen verkaufte. Acht
Tage nach meiner Rückkehr hatten wir Krieg. Selbst
da reimte ich meinen Abschied in St. Germain
noch nicht mit dem Abschied der Welt von ihrer
Vergangenheit zusammen, so fern liegt uns immer,
das Eigene in einer Gemeinschaft zu sehen. Erst
lange nachher fiel es mir ein. Vieles sehen wir nicht
wieder. Möglich, daß man noch einmal ein Billett
nimmt und hinfährt. Warum nicht ? Wenn man
überhaupt noch einmal zum Fahren kommt. Aber
das Paris sehen wir nicht wieder. Ich habe es damals
gespürt, ohne Metaphysik, ganz nüchtern. Schade,
daß Paris dabei war! Wahrscheinlich gibt es noch
Leute dort, mit denen man reden kann, zum Beispiel
die dicke Fleuristin. Nicht deshalb machte man die
Sommerreise. Wir brauchten dort keinen Menschen.
Wohl gehörte der Pariser dazu, und die Pariserin,
aber wir wollten nichts von ihnen. Für uns waren
sie nur Teile der Stadt, blinkende Fenster, Fahnen,
Blumen in den Fenstern. Ich weiß nicht, ob ich dort
je mit einem Anderen außer dir gesprochen habe.
Und mit dir habe ich dort anders als irgendwo ge-
sprochen. Man sprach über einen Dritten, von einem
Dritten aus, und das gab jedem Dinge eine gute
Distanz. Am meisten sprach man mit sich selbst,
du zumal, du hast dort jahrelang nur zu dir selbst

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