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Meier-Graefe, Julius
Die weisse Strasse — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.30357#0308
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anderen verschlingt. Wenn ich mehr Phantasie
besäße, hätte ich dieser zufälligen Mithilfe der Russen
nicht bedurft. Laß dir es dienen! Du hast immer die
kleinen Hindernisse zu schwer genommen, und ich
habe dir vergebens geraten, darüber zu lachen.
Das war dumm. Heut sage ich dir, nimm diese
Dinge nicht leicht, sondern so schwer wie möglich,
vergrößere sie noch über deine gewohnte Über-
treibung hinweg, mach' dir eine Mauer daraus, eine
Lagergrenze, Stacheldraht, Palisaden. Innerhalb
des Lagers werden wir offener zueinander sein. Wir
werden diesen Krieg noch segnen, wie die Russen
von rechtswegen ihren Zaren segnen müßten, der sie
schindet. Laß heute die Russen nicht mehr unter
ihrer weißen Straße ächzen, so ist es mit den fabel-
haften Bässen und den anderen Geschichten vorbei.
Der Gang der Welt entwöhnt die Menschheit der
Einbildung. Man kann sich zu leicht die Dinge
machen und kaufen, die nur gedacht festen Umriß
und Sinn haben, und es steht so viel an fabrizierten
Nippes herum, daß die Phatasie wie ein Aberglaube
vorsintflutlicher Zeiten verduftet.

Außerdem bist du hier in Udinsk zu einer weiteren
Realität gediehen. Du wirkst in dem Stück mit,
bist die sonderbare Nihilistin in der sibirischen
Hölle von Tertschensk, hältst eine Lawka im Ge-
fangenlager, eine Art Laden, stößt alle Welt vor
den Kopf, selbst einen richtigen deutschen Prinzen,
aber gleichzeitig faszinierst du ihn und alle anderen
Gefangenen, und der Prinz ist schon über die Ohren
in dich verhebt und beginnt gerade, eine deiner Ver-
kleidungen zu lüften. Ob er es fertig bringt, dich

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