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Hangs seine eigne Welt zu bauen; aber so lange es noch am
Plänemachcn, am Graben des Fundaments ist, so lange hat
das neue Leben noch keine Gestalt, und so lange erscheint
ihm weder die entstehende noch die vergangne Welt im Bilde.
So scheint ihm, um seinen künstlerischen Trieb zu befriedigen,
nichts übrig zu bleiben, als zu den überlieferten Formen zu
greisen und unter ihnen sich an diejenigen anzulehnen, die,
am meisten entwickelt, den Inhalt des modernen Lebens am
leichtesten zu fassen vermögen.
Dieser Mangel einer eigentümlichen Anschauung trifft
namentlich die bildende Kunst, die ja, was sie darstellt, zur
vollen, fest umrissenen Erscheinung herausbilden soll. In ihr
hat unser Jahrhundert die angestrengtesten Versuche gemacht,
sich einen selbständigen Ausdruck zu geben und damit die Kunst
auf eine neue Stufe zu erheben, und gerade in ihr ist es ihm
am wenigsten gelungen. Denn was man auch für die neue
Entwicklung der Plastik und vorab der Malerei Vorbringen,
wie viel man sich mit dem ausgebreiteten Schaffen der Zeit
wissen mag: das immerhin ist ausgemacht, daß die Kunst in
nnsern Tagen Wohl eine Nachblüte, vielleicht den ersten Sproß
eines neuen Lebens, aber keine wirkliche volle Blüte ge-
trieben hat.
Allein wer wollte einer Zeit, die in allen Fächern nach
neuen eigentümlichen Formen ringt, den Versuch wehren, auch
in der bildenden Kunst eine neue Gestaltenwelt hervorzu-
bringen? Hat sie, wie keine andre, mit den: Nachlaß der Jahr-
hunderte sich ebensowohl bereichert als belastet, so sucht sie
nun diesen Erwerb zur breiten Grundlage zu machen, auf der
sie nur um so sicherer das eigne Haus für ihre neuen Götter
aufzubauen gedenkt. Wenn sie auf dem Gebiete der Religion
für ihre Empfindung des Göttlichen nach dem Ausdruck sucht,
der an die Stelle der positiven Überlieferung treten soll, wenn
 
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