Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meier, Thomas; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Die Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes im christlichen Europa — Mittelalter-Forschungen, Band 8: Stuttgart, 2002

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34722#0084
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
70

Die Beigabenausstattung

dürfte typologisch eine Vorstufe darstellen, blieb aber auch im hohen Mittelalter in
Gebrauch. Während das kurze Szepter überwiegend aus Metall gefertigt wurde, be-
stand der lange baculus oft in wesentlichen Teilen aus Holz.
Der populärste frühmittelalterliche Gegenstand, der als Szepter - vielleicht des
angelsächsischen bretwalda und nicht des Königs der Ostangeln - angesprochen
wird, fand sich im Bootsgrab von Sutton Hoo (Suffolk), das um 620/30 angelegt
wurde (Abb. 36): Es handelt sich um einen insgesamt 82,0 cm langen vierkantigen
Stab aus Grauwacke (L 58,3 cm), der an beiden Enden mit Masken verziert und auf
einer Seite von einem tordierten Eisenring mit einer Hirschfigur bekrönt ist100. In Ma-
terial und Form entspricht er weiteren Wetzsteinen von den Britischen Inseln101, ist
jedoch bei weitem das größte und qualitätvollste bisher gefundene Exemplar, auch
weist er keinerlei Wetzspuren auf. John Michael Wallace-Hadrill hat darauf hinge-
wiesen, daß diese Eigenschaften vor dem Hintergrund der höchst lückenhaften
archäologischen Überlieferung keinesfalls ausreichen, diesen Wetzstein als un-
üblich, unbenutzbar oder gar symbolisch und königlich zu bezeichnen102. Rupert
Bruce-Mitford wischt hingegen solche Skepsis zur Seite: »It must surely be accepted
as beyond all reasonable doubt that in this strange and singularly impressive object in
the Sutton-Hoo ship-burial we have a sceptre, a massive staff of stone crowned with
ring and stag, held in the king's hand to signify his royal title, power and majesty«103.
Doch so argumentiert, wer keine Beweise hat: ein brillanter cogitus interruptus (Um-
berto Eco). Es muß sicherlich jenseits aller vernünftigen Zweifel akzeptiert werden,
daß wir hier einen massiven Steinstab vor uns haben, der mit einem Ring und einem
Hirsch bekrönt ist, doch ob er »befremdlich und einzigartig eindrucksvoll«, ein Szep-
ter, ist, das das königliche Amt, Gewalt und Herrschaft bezeichnet, sollte man im Be-
reich des Hypothetischen belassen. Wenn der Wetzstein darüber hinaus die Symbo-
lik nordischer Donnerkeile aufgreifen sollte104, wird seine Interpretation als Szepter
des Toten von Sutton Hoo noch unwahrscheinlicher: Solch eine Parallele weist ihn
gegebenenfalls als Kultgegenstand, keineswegs aber als königliches Szepter aus.
Das vermeintliche Szepter von Sutton Hoo hat inzwischen eine beträchtliche Fas-
zination entwickelt und andere Stäbe, Stöcke und Beschläge aus frühmittelalterlichen
Gräbern in seinen Bann gezogen: So gilt nun auch ein zweiter Stab (Holz, Bein, Elfen-
bein?) aus demselben Grab als Zeremonienstab oder Szepter10/ Goldbleche scheinen
ein Szepter in Malaja Perescepina zu bezeugen106, zwei Holzstäbe aus dem Kölner

100 Bruce-Mitford 1975/83, 1, 689; 2, 311-393, bes. 345-357, 370-375. Für eine Interpretation als
Szepter u.a. Berges u. Gauert 1954/56, 260-280, bes. 261; Ambrosiani 1981, 27; Werner 1982;
Enright 1983,119f.
101 Evison 1975, bes. 79; Bruce-Mitford 1975/83, 2, 360—369; Enright 1983, 121. Zu Parallelen vgl.
auch Ryan 1992.
102 Wallace-Hadrill 1960, 188; leider modifiziert durch Wallace-Hadrill 1970, 69-71; ähnlich
Wilson 1992,12.
103 Bruce-Mitford 1975/83, 2, 370f.; ähnlich S. 346: »It is clearly an object of ceremonial and not
functional import ...« und »... it is difficult to see any other explanation for the object but that
of a sceptre.« Möglicherweise mangelnde Phantasie ist kein wissenschaftlicher Beweis!
104 Simpson 1979. - Vielleicht als Zeichen Wodan/Odins: Hauck 1954, 51-58; Hauck 1954/56,
198-210. Als Zeichen Thors: Cohen 1966.
105 Bruce-Mitford 1975/83, 2, 353f., 394-402 bes. 401 f.
106 Werner 1992a, 433, Abb .4.1.
 
Annotationen