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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0102

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98

Kapitel 1

und Selbstdeutungen werden demnach verstärkt untersucht; die zentrale Frage
lautet nicht mehr, wer adlig war, sondern wie sich Adlig-Sein ausdrückte^k Dies
wird nicht mehr vornehmlich als Problem des Rechtsstandes oder der Zugehörig-
keit zu einer Schicht betrachtet, sondern als Bestandteil „kommunizierter Realität",
als Ergebnis der Zuschreibung bestimmter Merkmale, v.a. Ehre, deren Kriterien
mit kulturgeschichtlichen Methoden beschrieben werden. Angeknüpft werden
kann dabei z.T. an die Verfahrensweisen der Ethnologie. Mentalitätsgeschichtliche
Analysen zielen demnach auf die Selbstdeutungen der Zeitgenossen und auf de-
ren Rückwirkungen auf die Wirklichkeit. Forschungen mit diesen Fragestellungen
zeigen weniger Interesse für Sozialgeschichte im klassischen Sinn als vielmehr für
die Ausdrucksformen „symbolischer Herrschaft", die die Basis auch für kulturelle
Hegemonie gewesen ist. Insbesondere Werner Rösener hat darauf hingewiesen,
daß Adelsherrschaft auch ein kulturhistorisches Phänomen waUA
„Es ist Adelslos, herrisch auftreten, Held sein zu müssen"^", meinte etwa Jo-
hannes Fried in einem grundlegenden Werk über den Zeitraum zwischen 840 und
1046, das Michael Borgolte als „die erste historische Gesamtdarstellung eines Me-
diävisten aus konsequent historisch-anthropologischer Sicht" bezeichnet haLA
Demgemäß definiert Fried „Adel" weit stärker als die ältere Forschung über Ver-
haltensweisen: „Zumal der Laienadel legt ein rauhes, wenig zivilisiertes Gebaren
an den Tag; er unterliegt darin einer ihm durch seine Umwelt aufgenötigten Le-
bensform, der er nicht schlagartig - selbst als Mönch nur partiell - entsagen kann,
die er vielmehr durch allmähliche Erfahrungs- und gewandelte Erziehungsprozes-
se, auch schmerzvolle, veredeln muß"^.
Diese Sicht hat wichtige Vorläufer. Arno Borsts Konzept der „Lebensformen"
im Mittelalter war, wie Borst selbst demonstriert hat, auch auf den Adel anzuwen-
den; als Lebensform betrachtete er dabei „historisch eingeübte Verhaltensweisen
geschichtlicher Gemeinschaften"^. Heinrich Fichtenau hat von „Lebensordnun-
gen" gesprochen und in seiner Darstellung des 10. Jahrhunderts auch den Adel als
Lebensform behandelt^. Bezüge zur Mentalitätsgeschichte sind unverkennbar,
und so hat sich Hans Henning Kortüm im Rahmen seiner Überblicksdarstellung
über Mentalitäten des Mittelalters ebenfalls mit dem Adel beschäftigt^.
Zahlreiche der neueren Fragestellungen zielen auf Themen, die de facto so gut
wie immer, wenngleich gewöhnlich implizit, als Bestandteile adliger Lebensfor-
men betrachtet werden. Als fruchtbar erweist sich der Ansatz für sehr verschiede-

518 Vgl. als Beispiel aus jüngster Zeit nur T. REUTER, Nobles and Others, S. 85-98.
519 Vgl. RÖSENER, Adelsherrschaft.
520 FRIED, Formierung, S. 9.
521 BORGOLTE, Sozialgeschichte, S. 166.
522 FRIED, Formierung, S. 9.
523 BORST, Lebensformen, S. 14-26.
524 Vgl. FICHTENAU, Lebensordnungen, S. 185-323.
525 Vgl. KORTÜM, Menschen, S. 37-51.
 
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