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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0267

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König und Adel im Ostfrankenreich

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Lehnsabhängigkeit der Grafen vom Herzog für das 8.-10. Jahrhundert anzuneh-
men. Noch für das 12. und 13. Jahrhundert ist dies allerdings kaum zu erweisen^.
Daß immer wieder auch Könige eingreifen konnten, wurde bereits erwähnt. Der
Herzog erscheint in dieser Perspektive jedenfalls zunächst als Teilhaber an der
KönigsgewalW.
Auch diese Einschätzung ist vom verwendeten Verlaufsmodell abhängig. Daß
das Herzogtum grundsätzlich eine ähnlich abstrakte Institution mit festgelegten
Kompetenzen war wie das Königtum selbst, gilt heute, da diese Prämisse sogar für
das Königtum bezweifelt wird, keineswegs mehr als sicher. Wie in vielen ähnli-
chen Fällen erscheint die vermutete Lehnsabhängigkeit der Grafen in neuerer Sicht
nicht mehr als ursprünglicher Zustand, sondern als ein Ergebnis herzoglicher
Politik. Diese Einschätzung beruht auf der Annahme, daß Herzoge vor einem
ähnlichen Problem standen wie der König selbst: Die Adligen ihres „Wirkungsbe-
reichs" mußten erst integriert werden. Insbesondere Stefan Weinfurter hat für den
späteren König Heinrich II. eine solche „zentralistische" Politik auf der Ebene des
bayerischen Herzogtums nachzuweisen versucht; gerade in dieser Perspektive
erscheint es als plausibel, daß die Probleme auf der Ebene von Herzogtum und
Königtum identisch waren und man keineswegs von einem Verfall von Staatlich-
keit sprechen kannA
So ist das Verhältnis zwischen Herzogen und Grafen offenbar nicht zuletzt eine
Frage der realen Macht gewesen. Daß die Herzöge ein formales Überordnungs-
verhältnis den Grafen gegenüber herstellen konnten, war, wie etwa die Auseinan-
dersetzungen in Lothringen zeigen, keineswegs selbstverständlich. Diese verän-
derte Einschätzung beeinflußt Untersuchungen über die Entwicklung in den ein-
zelnen Herzogtümern. So erscheint etwa die Politik Heinrichs des Löwen in Sach-
sen nicht länger, wie dies in der älteren Forschung durchwegs behauptet worden
war, als Versuch, einen Ausgangspunkt wiederherzustellen, sondern als Ausdruck
der Bemühungen, die Oberhoheit des Herzogs über die Adligen in Sachsen über-
haupt erst durchzusetzenU Das dabei verwendete Modell entspricht den Versu-
chen, die Entwicklung des Verhältnisses zwischen König und Adel auf Reichsebe-
ne nicht mehr als Auflösungs-, sondern als Integrationsprozeß zu beschreiben.

64 Vgl. KRAUS, Heinrich der Löwe, S. 156-159,199-210; LoiBL, Herrschaftsraum, S. 315.
65 Vgl. WEINFURTER, Zentralisierung, S. 260.
66 Vgl. WEINFURTER, Zentralisierung, S. 253. Zu dieser Perspektive vgl. auch - für die Agilolfingerzeit -
PEARSON, Loyalities.
67 Vgl. zum Gang der Forschung v.a. MOHRMANN, Herzogtum; zur Sache vgl. auch SCHNEIDMÜLLER,
Welfen, S. 204f., 208.
 
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