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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0276

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272

Kapitel 5

zusammenfaßte: Die Kirche sei weit mehr eine Stütze der Adels- als der Königs-
macht im Mittelalter gewesen; sie habe der Adelswelt ein ganzes ergänzendes
System von Ämtern, politischen Positionen, Einflußmöglichkeiten, Familienbezie-
hungen und Versorgungsstellen zur Verfügung gestellt^".
Timothy Reuter griff diese Argumentation auf, als er seine fundamentale Kritik
an der Vorstellung von einem Reichskirchensystem formulierte. Reuter stellte in
Frage, daß es sich um ein „System" gehandelt habe, und bezweifelte zudem, daß
die Stellung der Bischöfe im fränkisch-deutschen Reich einzigartig in Europa ge-
wesen sei. Vor allem aber wies er darauf hin, daß die Masse der Mitglieder der
Hofkapelle, die auf dem Weg zum Bischofsamt war, selbst aus der hohen
Aristokratie stammte^. Es sei eher darum gegangen, die Wünsche der
Aristokratie nach Ämtern und Würden zu befriedigen, um Loyalität einfordern zu
können. Damit war auch die Frage aufgeworfen, ob das ottonisch-salische
„System" ein neuer Typus war oder nur die nahtlose Fortsetzung der
karolingischen Kirchenherrschaft. Es liegt auf der Ffand, daß nicht zuletzt die
bereits erwähnte veränderte Einschätzung der Rolle des Königs in einer
Ranggesellschaft den Hintergrund dieser Konzeption bildet. Die Vorstellung von
einem Herrscher, dessen im Grunde bedeutendste Aufgabe in seiner Präsenz
bestanden haben soll, war mit der Auffassung einer „systematischen"
Reichskirchenpolitik schwer zu vereinbaren. Als bloße Stütze der Adelsmacht
erscheinen die Bischöfe in diesem Modell allerdings nicht.
Reuters Thesen sind in mancher Hinsicht als zu überzogen bezeichnet wor-
deWA Josef Fleckenstein hat mehrere Besonderheiten der ottonisch-salischen
Reichskirche hervorgehoben, u.a. den fehlenden Rombezug der Bischöfe und ihre
Orientierung am König. Diese habe die Bischöfe zur Reichskirche verbunden; man
könne von einer einzigartigen Ausprägung des speziellen Verhältnisses zwischen
Reich und Kirche sprechen. Die Hofkapelle habe einen zunehmend einheitlichen
Episkopat geschaffen, der sich am König orientierte und durch die Sakralität des
Herrschers zusammengehalten wurdet Einigkeit herrscht immerhin darüber,
daß das System in der Ottonenzeit nur rudimentär ausgebildet war und erst unter
Heinrich II. konsequent durchgesetzt worden isPA
Rudolf Schieffer hat in mehreren Arbeiten eine vermittelnde Position einge-
nommen, im Hinblick auf die Frage nach der Personalpolitik der Könige aber
ebenfalls betont, daß die Besetzung der hohen Kirchenämter ein Mittel zur Befrie-
digung der adligen Ansprüche auf Teilhabe am Reich gewesen sei. Der König sei

100 Vgl. DlLCHER, Adel, S. 75.
101 Vgl. T. REUTER, Imperial Church System, S. 353-356.
102 vgl. den Überblick über die neuere Diskussion bei FRIED, Formierung, S. 166t.
103 Vgl. FLECKENSTEIN, Problematik.
104 Vgl. BRÜHL, Deutschland, S. 644. Zur Rolle Heinrichs II. vgl. WEINFURTER, Zentralisierung, S. 286-
293.
 
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