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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0436

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432

Kapitel 10

geringen Einfluß der Kirche sprach bereits Sydney Painter, der idealtypisch drei
Arten von Rittertum unterschied: ein religiöses, ein feudales und ein romantisch-
höfisches Rittertum. Das religiöse Rittertum habe kaum der Wirklichkeit entspro-
chen*^. Eine im wesentlichen ähnliche Auffassung vertraten Jean-Pierre Ritter oder
Joachim Johrendt, der das frühe Rittertum als „Berufsgenossenschaft" betrachte-
te^. Alessandro Barbero mahnte zur Vorsicht gegenüber den kirchlichen Quellen
und meinte, man dürfe nicht glauben, daß die Wertvorstellungen kirchlicher Krei-
se ohne weiteres von anderen Klassen der Gesellschaft übernommen worden wä-
ren^. Der Einfluß von Cluny und des Kreuzzugsgedankens werde überschätzt.
Dominique Barthelemy sprach davon, daß der kirchliche Einfluß erst später hin-
zugetreten seW. Jean Flori vertrat im Rahmen seiner Theorie über die Entstehung
des Rittertums die Auffassung, daß man allenfalls von einem indirekten Einfluß
sprechen könne. Die Kirche habe den König unterstützt, dessen Aufgaben dann
auf die Waffenträger allgemein übertragen worden seien. So habe sich der Segen
zunächst an Herrscher und kirchliche Amtsträger gerichtet; später habe die Kirche
die Domestizierung des Kriegertums versucht"". Eine ähnliche Ansicht vertrat
Keen"". Auch Duby sprach davon, daß erst im Gottesfrieden die Kirche hinzugetre-
ten sei. Karl Ferdinand Werner meinte, daß die Übernahme des Ritter-Begriffs
durch den hohen Adel auch als Versuch zu verstehen sei, die Herrenschicht mit
Hilfe des von der Kirche aufgewerteten mz'üfzü-Ideals zusammenzuhalten und auf
bestimmte Verhaltensweisen festzulegen; die Bischöfe seien Verwandte der großen
Fürsten gewesen"?. In jüngerer Zeit hat Jörg Oberste eine ähnliche Erklärung ent-
worfen: Kirchliche Gelehrte hätten den sozialen Aufstieg der mz'ütes in von Kirche
und Königtum vorgesehene Bahnen lenken und legitime Aufstiegsmöglichkeiten
zeigen wollen^. In den Augen der Kirche habe es sich um Usurpatoren gehandelt,
die man mit Hilfe des alten Ideals vom mz'Us CEn'sfz in die gewünschte gesellschaft-
liche Ordnung zu integrieren versuchte. Dennoch hätten neue Familien via facti
den Umsturz der bisherigen Adelsstruktur herbeigeführt.
Die Vorstellung von der Verchristlichung der Krieger, durch die das Rittertum
überhaupt erst entstanden sei, wurde zunächst - nicht ganz zufällig - in der deut-
schen Forschung entwickelt. Schon Adolf Harnack hat gezeigt, in welcher Weise
die Vorstellung von der mzfzfzü CHz'sfz umgedeutet und vom Mönchtum auf das

61 Vgl. PAINTER, Ideen.
62 Vgl. RITTER, Ministerialite, S. 121-154; JOHRENDT, Milites (1989), S. 424ft.
63 Vgl. BARBERO, L'Aristocrazia, S. 131-239. Diese Problematik wird auch deutlich am Fall der zahlrei-
chen kirchlichen Turnierverbote, die in der Praxis offensichtlich kaum Bedeutung hatten. Vgl. KRÜ-
GER, Turnierverbot.
64 Vgl. BARTHELEMY, Qu'est-ce que, S. 52, 73.
65 Vgl. FLORI, L'essor, S. 215-219; DERS., Chevalerie, noblesse, S. 271.
66 Vgl. KEEN, Rittertum, S. 7, 33-99,119.
67 Vgl. K.F. WERNER, in: SCHIEDER, Handbuch, Bd. 1, S. 777; DERS., Naissance, S. 471-490.
68 Vgl. OBERSTE, Rittertum, S. 83f.
 
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