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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0448

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444

Kapitel 10

Teilnahme an Turnieren im Spätmittelalter hervor; den Hintergrund bildet dabei
die etwa von Joseph Morsel vertretene Ansicht, daß sich der Adel erst in dieser
Zeit als eine soziale Kategorie formierte, die ein Bewußtsein ihrer selbst entwickel-
te. Turniere seien, wie etwa auch die Fehde, Ausdruck der Selbstdefinition dieses
entstehenden Adelst In dieser Hinsicht erschien die Teilnahme an Turnieren, in
denen seit den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts in zunehmendem Maße Ah-
nennachweise gefordert wurden, nicht länger als anachronistische Riten einer sich
im Abstieg befindenden Schicht. Noch Fleckenstein hatte von der Verbrämung
eines Niedergangs gesprochen, und Ernst Schubert betrachtete die Turnierbewe-
gung als Abwehrkampf gegen EgalisierungstendenzenW Andreas Ranft hat die
Turnierpraxis im Rahmen seiner Untersuchung der spätmittelalterlichen Adelsge-
sellschaften in einen umfassenderen Kontext gestelltes. Da die Adelsgesellschaften
älter gewesen seien als die Turnierbewegung, sei nicht nur der soziale Abwehr-
kampf als Motiv anzunehmen. Die Turniere hätten der Selbstbehauptung und der
Demonstration adliger Gleichheit mit dem hohen Adel ebenso gedient wie der
Demonstration einer spezifischen Lebensform. William Henry Jackson wertete
Turniere generell als Versuche, Ideale in Realität umzusetzeNN
Andreas Ranft hat im Zuge seiner Bemühungen zu zeigen, daß die Stadt als
„Bühne des Adels" bezeichnet werden kann und daß man keineswegs zwangsläu-
fig von einem ideologisch zementierten Gegensatz zwischen Adel und Stadt aus-
gehen muß, darauf hingewiesen, daß normalerweise die Stadt der Schauplatz von
Turnieren warW Thomas Zotz sah im Turnier ebenfalls die Begegnungsstätte von
Adel und Bürgertum, sprach dabei allerdings mehrere Möglichkeiten des Verhält-
nisses zwischen Niederadel und Stadt an, die gerade auch bei Turnieren zum Vor-
schein gekommen seien. Turniere konnten demnach sowohl Abschließungsmerk-
mal eines auf seine Vorrechte bedachten Adels gegenüber der fortschreitenden
Aristokratisierung des Bürgertums sein als auch Ausdruck eines bürgerlichen
Selbstverständnisses, das sich bewußt an ritterliche Traditionen anlehnte^s.
Die Frage, ob Turniere auch militärischen Wert hatten, wird in der Forschung
sehr unterschiedlich beantwortet. Dies liegt daran, daß es nicht einfach ist, die
Entwicklungsgeschichte des Turniers mit der Geschichte der militärischen Verän-
derungen im Hoch- und Spätmittelalter zu parallelisieren. Für beide Themenberei-
che gilt, daß man kaum von einem Konsens der Forschung sprechen kann, so daß
es schwer ist, den jeweiligen Status quo des Tumierwesens und der Militärtechnik

133 Vgl. MORSEL, Erfindung, S. 353-356.
134 Vgl. FLECKENSTEIN, Nachwort (1985), S. 645; E. SCHUBERT, Einführung, S. 214ff.
135 Vgl. RANFT, Adelsgesellschaften, S. 185-197, 251; DERS., Turniere. Zu spätmittelalterlichen Tumier-
büchern vgl. in dieser Hinsicht DERS., Familienbücher; KRIEG, Vergangenheitskonstruktion.
136 Vgl. JACKSON, Turnier, S. 289.
137 Vgl. RANFT, Adel und Stadt; DERS., Adelsgesellschaften, S. 232-249.
138 Vgl. ZOTZ, Adel, Bürgertum, S. 499.
 
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