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Hechberger, Werner; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems — Mittelalter-Forschungen, Band 17: Ostfildern, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.34731#0516

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512

Kapitel 11

sehen" - findet sich bisweilen auch noch in der Gegenwart^. Selbstverständlich
war diese Perspektive zumeist adelskritisch.
Daß diese Einschätzung den Versuch des Liberalismus im 19. Jahrhundert wi-
derspiegelte, historische Vorbilder und Vorgänger in der Vergangenheit zu su-
chen, ist von der neueren Forschung mehrfach mit Recht betont worden. Es dürfte
schwerlich ein Zufall sein, daß sich diese Einschätzung der städtischen Kommune
kurz nach dem Paradigmenwechsel in der Verfassungsgeschichte grundsätzlich
änderte. Nach 1945 betonte die deutsche Forschung immer deutlicher den „herr-
schaftlichen" Charakter der Stadtverfassung. FFermann Jakobs bemerkte mit Recht:
„Ausgesprochen antiwebersche Impulse sind von den Reichenau-Tagungen
1955/56 ausgegangen, die den Blick für herrschaftliche Leistungen der Stadtwer-
dung schärften'^. Dies beruhte nicht zuletzt auf der seinerzeit in Konstanz ver-
folgten Fragestellung: Untersucht werden sollten die Anfänge des europäischen
Städtewesens, wobei die rechtshistorische Perspektive des 19. Jahrhunderts kaum
mehr eine Rolle spielte. In dieser Sicht markierte die Bildung von Kommunen im
Flochmittelalter keineswegs den Beginn, sondern nur eine Stufe einer Entwick-
lung, die - und dies war entscheidend - nicht zu grundsätzlichen Veränderungen
der Sozialstruktur geführt habe.
Die Beiträge der Tagungen legten allgemein den Schwerpunkt auf die Frühge-
schichte der Stadt in besiedlungs- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive; dies
relativierte natürlich die rechtsgeschichtlich so zentrale Entstehung der Ratsver-
fassung. Auf diese Weise gerieten jene Städte ins Gesichtsfeld der Forschung, die
bislang weniger beachtet worden waren. Walter Schlesinger, einer der bedeu-
tendsten Protagonisten der neueren Sicht, stellte beispielhaft für Erfurt und Fritz-
lar fest, daß man keineswegs von einer Eidgenossenschaft sprechen könne; die
Gemeindebildung in Erfurt habe sich „im Rahmen herrschaftlicher Ordnung"
vollzogen^. Ganz allgemein zog Schlesinger daraus den Schluß, daß Städte „keine
Fremdkörper" in der Umgebung gewesen seiend In der folgenden Zeit wurde
der herrschaftliche Charakter auch der Ratsverfassung stark hervorgehoben und,
analog zu den herrschenden Tendenzen der Mediävistik der Nachkriegszeit, die
Bedeutung von „Freiheit" in der Stadt relativiert. Obrigkeitsbildung und Oligar-
chisierung waren nun zentrale Themen der Forschung; die mittelalterliche Stadt
erschien in dieser Perspektive als ein historisches Phänomen, das sich keineswegs
grundsätzlich vom Gesamtcharakter der mittelalterlichen „Verfassung" unter-
schied.
Wiederum nicht zufällig waren es die Protagonisten der Adelsherrschaftstheo-
rie, die eine solche Einschätzung vertraten. Neben Schlesinger meinte auch Otto
349 Vgl. etwa BOLTE/HRADIL, Ungleichheit, S. 84f.; MEDER, Rechtsgeschichte, S. 184ff.
350 JAKOBS, Hochmittelalter, S. 140.
351 SCHLESINGER, Frühformen, S. 334f.
352 SCHLESINGER, Frühformen, S. 350.
 
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