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Ernst Hellgardt
eines hohen ethischen Pathos, feierlicher Beschwörung, zärtlicher Anrede und deli-
katester Anspielung, und daß polemische Rede ebenso das Ziel hat, Raum zu schaf-
fen für die emotional neutralen, distanzierten und sachorientierten Redeformen
nüchtern definierenden Analysierens und Belehrens und schließlich nicht weniger
für spielerische, witzige Formen wie aussparende Andeutung, Rätsel, Plumor, Iro-
nie, Selbst- und Fremdpersiflage. Ja, es können umgekehrt sogar fast all diese eben
genannten, ihrer Natur nach nur scheinbar unpolemischen Redeformen ihrerseits
für das polemische Sprechen selbst in Dienst genommen werden. Und, nicht zu ver-
gessen: was hier als Strategien des Redens angedeutet wurde, meint natürlich im-
mer im Reden selbst und über es hinaus entsprechende Formen und Möglichkeiten
des Verhaltens und Flandelns.
Walther begegnet als Polemiker in unterschiedlichen thematischen und per-
sönlichen Verflechtungen. Das hängt zum großen Teil mit seinem ungewöhnlichen,
ja widersprüchlichen berufs- und geburtsständischem Status als fahrender Berufs-
sänger von Stand zusammen. Aus diesem Status erwächst ihm im Vortragsauftritt
vor seinem Publikum die ihn kennzeichnende Walther-Rolle. Dem Fahrenden steht
traditionell das adelsständische Privileg des Minnesangs nicht zu, und für den hof-
sässigen Sänger von Stand schickt es sich nicht, Sangsprüche vorzutragen, schon
gar nicht in der Pose des Lohnfordernden. Walther aber, nach einer Startphase als
hofsässiger Sänger bald in die Lebensform des Fahrenden abgedrängt, pflegt nicht
nur Minnesang und Sangspruch nebeneinander, mehr noch: er führt - in der Walt-
her-Rolle auftretend - die beiden Gattungen poetologisch aufeinander zu. Das ge-
schieht auf der einen Seite dadurch, daß er als Minnesänger Gesellschaftskritik in
einer zuvor nicht dagewesenen Weise neu in die Gattung einführt, und andrerseits
dadurch, daß er als Sangspruchdichter über die traditionelle mi/fe-Thematik mit
Herrenlob und -schelte, über allgemeine Lebens- und Weisheitslehre und religiöse
Thematik hinaus neu die aktuelle politische Diskussion seiner Zeit in den Vortrag
seiner Sangsprüche aufnimmt. Er tut dies - um einen von Gerhard Hahn treffend
gewählten Ausdruck zu zitieren -, indem er sich von seiner Rolle als Entlohnung
heischender Fahrender in diese genuin adelsständische Thematik »hinübermanö-
vriert«.2 Wo sich die öffentliche Gelegenheit dafür bietet, nimmt er - sei es auf ei-
gene Hand, sei es aufgrund von Beauftragung - die Chance wahr, in Lob und
Schelte für oder gegen die politischen Interessen der großen weltlichen und geistli-
chen Herren Partei zu nehmen und dadurch zugleich sein eigenes Auskommen bei
denen zu finden, auf deren Interesse er sein jeweiliges Auftreten ausrichtete.
2.1
Ich wende mich im folgenden aber zunächst im Rahmen literarischer Polemik dem
Minnesang Walthers zu und hier der sogenannten Reinmar-Fehde. Die höfische
Liebe ist das Generalthema des damit angesprochenen Komplexes von Liedern
Reinmars und Walthers. In ihnen geht es aber nicht, wie man lange mit weitreichen-
den Folgerungen gemeint hat, um unterschiedliche Minneauffassungen der beiden
2 Hahn 1979, hier besonders S. 349 und S. 353.
Ernst Hellgardt
eines hohen ethischen Pathos, feierlicher Beschwörung, zärtlicher Anrede und deli-
katester Anspielung, und daß polemische Rede ebenso das Ziel hat, Raum zu schaf-
fen für die emotional neutralen, distanzierten und sachorientierten Redeformen
nüchtern definierenden Analysierens und Belehrens und schließlich nicht weniger
für spielerische, witzige Formen wie aussparende Andeutung, Rätsel, Plumor, Iro-
nie, Selbst- und Fremdpersiflage. Ja, es können umgekehrt sogar fast all diese eben
genannten, ihrer Natur nach nur scheinbar unpolemischen Redeformen ihrerseits
für das polemische Sprechen selbst in Dienst genommen werden. Und, nicht zu ver-
gessen: was hier als Strategien des Redens angedeutet wurde, meint natürlich im-
mer im Reden selbst und über es hinaus entsprechende Formen und Möglichkeiten
des Verhaltens und Flandelns.
Walther begegnet als Polemiker in unterschiedlichen thematischen und per-
sönlichen Verflechtungen. Das hängt zum großen Teil mit seinem ungewöhnlichen,
ja widersprüchlichen berufs- und geburtsständischem Status als fahrender Berufs-
sänger von Stand zusammen. Aus diesem Status erwächst ihm im Vortragsauftritt
vor seinem Publikum die ihn kennzeichnende Walther-Rolle. Dem Fahrenden steht
traditionell das adelsständische Privileg des Minnesangs nicht zu, und für den hof-
sässigen Sänger von Stand schickt es sich nicht, Sangsprüche vorzutragen, schon
gar nicht in der Pose des Lohnfordernden. Walther aber, nach einer Startphase als
hofsässiger Sänger bald in die Lebensform des Fahrenden abgedrängt, pflegt nicht
nur Minnesang und Sangspruch nebeneinander, mehr noch: er führt - in der Walt-
her-Rolle auftretend - die beiden Gattungen poetologisch aufeinander zu. Das ge-
schieht auf der einen Seite dadurch, daß er als Minnesänger Gesellschaftskritik in
einer zuvor nicht dagewesenen Weise neu in die Gattung einführt, und andrerseits
dadurch, daß er als Sangspruchdichter über die traditionelle mi/fe-Thematik mit
Herrenlob und -schelte, über allgemeine Lebens- und Weisheitslehre und religiöse
Thematik hinaus neu die aktuelle politische Diskussion seiner Zeit in den Vortrag
seiner Sangsprüche aufnimmt. Er tut dies - um einen von Gerhard Hahn treffend
gewählten Ausdruck zu zitieren -, indem er sich von seiner Rolle als Entlohnung
heischender Fahrender in diese genuin adelsständische Thematik »hinübermanö-
vriert«.2 Wo sich die öffentliche Gelegenheit dafür bietet, nimmt er - sei es auf ei-
gene Hand, sei es aufgrund von Beauftragung - die Chance wahr, in Lob und
Schelte für oder gegen die politischen Interessen der großen weltlichen und geistli-
chen Herren Partei zu nehmen und dadurch zugleich sein eigenes Auskommen bei
denen zu finden, auf deren Interesse er sein jeweiliges Auftreten ausrichtete.
2.1
Ich wende mich im folgenden aber zunächst im Rahmen literarischer Polemik dem
Minnesang Walthers zu und hier der sogenannten Reinmar-Fehde. Die höfische
Liebe ist das Generalthema des damit angesprochenen Komplexes von Liedern
Reinmars und Walthers. In ihnen geht es aber nicht, wie man lange mit weitreichen-
den Folgerungen gemeint hat, um unterschiedliche Minneauffassungen der beiden
2 Hahn 1979, hier besonders S. 349 und S. 353.