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Patzold, Steffen
Episcopus: Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 25: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34736#0205

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IV. Die Zeit zwischen der Reichskrise und dem Ende der Brüderkriege

nicht angemessen erfüllt wird, der Verweis auf die Würde apostolischer Nachfolge
- all diese Elemente des Pariser Modells wurden in dem Synodalschreiben wieder
aufgerufen. Ob es Ludwig den Frommen je erreichte oder angesichts der Wirren des
Jahres 833 nur ein Entwurf blieb, ist nicht zu entscheiden. In jedem Falle aber spie-
gelt auch dieser Text das Fortleben der neuen Kategorien in den 830er Jahren; und
noch zwei Jahrzehnte später, bald nach der Mitte des 9. Jahrhunderts, sollte ein
Geistlicher in Orleans den Text so aussagekräftig finden, daß er ihn gemeinsam mit
den übrigen Stücken der Sammlung kopierte.

3. Agobards sogenannter »Liber apologeticus«
Aus der Feder Agobards von Lyon sind aus dem Jahr 833 zwei Schreiben erhalten,
in denen der Erzbischof das aktuelle politische Geschehen kommentierte. Der >Sitz
im Lebern dieser beiden kurzen Schriften ist nicht leicht zu eruieren: Die erste hat
Egon Boshof mit guten Argumenten in jene Tage datiert, da die Heere Ludwigs und
seiner Söhne aufeinanderzutreffen drohten, also in den Juni 833Gleich zu Beginn
des Textes spricht Agobard »alle Völker« an, ja gar »die Erde und ihre Fülle im Ori-
ent und Okzident«^. Die ältere Forschung hat daher angenommen, Agobards
Schrift sei als eine Art Rundbrief im Reich in Umlauf gewesen. Sicher ist das nicht;
lediglich eine einzige Handschrift überliefert den Text, die zudem zum Teil von
Schülerhänden geschrieben wurde'"'. Denkbar wäre auch, daß Agobard nachträg-
lich niederschrieb, was er den Großen im Feldlager der Kaisersöhne bei Colmar ge-
predigt hatte"". In jedem Falle aber zielte der Text nicht auf differenzierte theoreti-
sche Erkenntnis in der Studierkammer, sondern war polemisch gemeint und auf
breite Wirksamkeit hin angelegt"^. Er wollte das Vorgehen der Kaisersöhne als
rechtmäßig, die Kaiserin Judith als Hauptschuldige an der Krise erweisen. Detail-
lierte Erörterungen zum rechten Verhältnis zwischen Herrscher, Episkopat und
Volk wird man in einer derartigen tagespolitischen, zielgerichteten Schrift nicht er-
warten dürfen^.
Agobard zufolge hatte nun Judith im Laufe der Zeit die schuldige Achtung vor
ihrem Gemahl verloren und durch ihre Übeltaten den Kaiserhof (paZaÜMm) und das
Reich (mywMm) geschändet und befleckt. Bereits 830 ins Kloster überwiesen, hätte
sie nach Meinung des Erzbischofs von Lyon auf immer der Welt entsagen müssen.
Sie war jedoch zurückgekehrt, hatte weiter ihr Unwesen getrieben und insbeson-

114 BosnoF, Erzbischof 1969, 2291.; im selben Sinne auch WARD, Agobard 1990, 18; sowie zuvor
schon SiMSON, Jahrbücher 1874,1, 3971., der als erster erkannt hat, daß es sich beim sogenann-
ten »Liber apologeticus« tatsächlich um zwei verschiedene Schritten Agobards handelt.
115 Paris, Bibliotheque Nationale, lat. 2853, lol. 197' (= Agobard, Liber Apologeticus I, ed. VAN Ax-
KER1981, c. 1,309): Audilcomncsgcwlcs,audiaf ferm efpLuifMdo eius soüs orfu ef occasu [...].
116 Paris, Bibliotheque Nationale, lat. 2853, der betreffende Text auf fol. 197-200'.
117 So vermutet BosnoF, Erzbischof 1969,240.
118 Vgl. ebd., 230f.
119 Zum folgenden vgl. die ausführliche Nacherzählung des Textes bei BosHOF, Erzbischof 1969,
231-240, der zudem die Bezüge zu augustinischem Denken in der Schrift aufzeigt; zu Ago-
bards Sicht auf Judith und Ludwig vgl. auch WARD, Agobard 1990,18-21.
 
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