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Patzold, Steffen
Episcopus: Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 25: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34736#0413

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VI. Der Episkopat im Spiegel der Historiographie

an mehreren Bischofssitzen »Gesta episcoporum«^. Wohl zwischen 857 und 863
wurden in Le Mans die »Actus pontificum Cenomannis in urbe degentium«^ ge-
schaffen. Sie schildern die Taten der Bischöfe von Le Mans von der Entstehung des
Bistums an und sollten in erster Linie die bischöflichen Ansprüche auf das Kloster
St-Calais, auf andere geistliche Institutionen und auf mehrere entfremdete Güter
untermauern^. Mitte der 870er Jahre, zwischen 873 und 876, schrieben in Auxerre
zwei Kanoniker, Rainogala und Alagus, die Taten der Bischöfe ihres Bistums nie-
der^; ihr Bericht, der bis ins Jahr 872 reichte, wurde deutlich später, nach 933, um
weitere Bischofsbiographien ergänzt^. Wenige Jahre zuvor, zwischen 916/17 und
923, hatte der Kanoniker Berthar in St-Vannes im Auftrag des Bischofs Dado von
Verdun ein Werk über die Geschichte der Bischöfe dieser sc&s verfaßt^. Noch stär-
ker als die annalistischen Texte konzentrieren sich diese drei Geschichtswerke je-
weils auf ein einzelnes Bistum. Welches Wissen über Bischöfe spiegeln diese Texte
wider? Und in welcher Beziehung steht dieses Wissen zu dem >Pariser Modell<?

1. Le Mans
Die »Actus pontificum Cenomannis in urbe degentium« aus Le Mans ordnen sich
in jenes größere Corpus von Texten zur Geschichte dieses Bistums ein, zu dem auch
die bereits besprochenen »Gesta Aldrici« gehören^". Schon früh hat die Forschung
erkannt, daß die »Actus« ebenso wie die »Gesta Aldrici« das Ziel verfolgten, die
Verfügungsgewalt des Bischofs von Le Mans über das Kloster St-Calais zu bewei-
sen, und zudem bemüht sind, die wichtige Rolle des Chorepiskopats in der Ge-
schichte dieses Bistums herauszustellen V Auf solchen Erkenntnissen aufbauend,
hat dann Walter Goffart 1966 die These vertreten, daß das gesamte Corpus in den
Jahren zwischen 857 und 863 fabriziert worden sei und als ein verzweifelter Ver-
such betrachtet werden müsse, die Gewalt über das Kloster St-Calais zu gewin-

324 Vgl. dazu vor allem Soi, Gesta 1981, und KAISER, Gesta 1994; außerdem Soi, Organisation 1977;
DERS., Historiographie 1978; DERS., Rhetorique 1985.
325 Actus pontificum Cenomannis in urbe degentium, ed. WEIDEMANN 2002.
326 Dazu grundlegend GoFFART, Le Mans 1966; vgl. LÖWE, Geschichtsquellen 1973, 593f.; und die
Modifizierungen der Goffartschen Thesen bei VAN DER STRAETEN, Hagiographie 1967, und LE
MAiiRE, L'ceuvre 1980; zuletzt WEIDEMANN, Geschichte 2002,1-3.
327 Gesta pontificum Autissiodorensium, ed. Soi 2002; jANiN, Heiric 1976, hat bezweifelt, daß
Heiric von Auxerre Anteil an der Abfassung gehabt habe; anders (und wohl zu Recht) Soi,
Gestes 2002, p. X-XII.
328 Dazu Soi, Gestes 2002, p. VIII-X.
329 Berthar, Gesta episcoporum Virdunensium, ed. WAiiz 1841.
330 Der Text ist erst in einem Manuskript aus dem 12./13. Jahrhundert tradiert, außerdem in einer
unvollständigen Kopie des 17. Jahrhunderts, die Andre Du Chesne nach einer zweiten, heute
verschollenen Handschrift gefertigt hat (Le Mans, Bibliotheque municipale. Ms. 224; und Pa-
ris, Bibliotheque Nationale, Collection Baluze, Vol. 45); dazu BussoN/LEDRU 1901, p. V sq.;
GoFFART, Le Mans 1966, 42-48. - Zum folgenden vgl. auch oben, Kapitel IV S. 229 und S. 242-
246.
331 Vgl. WATTENBACH/LEVisoN/LöwE, Geschichtsquellen 1957. 346f., und ausführlich GOFFART,
Le Mans 1966, 82-118, die die ältere Forschung zusammenfassen.
 
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