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Meyer, Carla
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0017

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1. Einleitung

in fremden Augen mehr als nur ein Sujet lokalpatriotischer Verklärung. Sie
wurde vielmehr - mit Blessings Worten - zu einer »Ikone deutscher Größe«,
einem »nationalen Hort in altdeutscher Gestalt«, einer »Chiffre deutscher Ge-
schichte und deutscher Art«, der amerikanische Kulturwissenschaftler Stephen
Brockmann spricht sogar im Titel seiner Studie von der »Imaginary Capital«
der Deutschen.^ War Nürnberg also noch in den Beschreibungen des 18. Jahr-
hunderts sozusagen als eine Stadt unter vielen erschienen, hatte sein Bild noch
keine spezifischen, individualisierenden Züge getragen, so gewann es nun
ein unverwechselbares, einzigartiges Profil als Symbol des Nationalkultes, als
Hauptstadt der deutschen Kulturnation, wie Johann Ferdinand Roth in seinem
»Nürnbergischen Taschenbuch« 1812 programmatisch formulierte: »Es giebt
nur ein Nürnberg«.^
Funktion und Entstehungszeit des »Nürnberg-Mythos« sind also mit den
Ergebnissen der Neuzeit-Forschung klar bestimmt: Der Stolz der Nürnberger
auf ihre mittelalterliche, deutsche Stadt lässt sich als ein im Nationalismus des
19. und 20. Jahrhundert erwachsenes Konstrukt beschreiben. Demnach scheint
Vorsicht geboten gegenüber Tendenzen mediävistischer Sinnstiftungen und
Interpretamente, die Gefahr laufen, neuzeitliche Topoi unreflektiert auf das
Spätmittelalter zurückzuprojizieren. Um die Klischees zu benennen, muss ein
zweiter Exkurs daher die inhaltliche Füllung dieser modernen Vorstellungen
vom Nürnberger Mittelalter klären.

1.2. Nürnbergs goldene Zeit
Drei Jahre nach Leni Riefenstahls »Triumph des Willens« lief in den Kinos
des Dritten Reiches der Spielfilm »Das unsterbliche Herz« des späteren »Jud
Süß«-Regisseurs Veit Harlan.^ Anknüpfend an den sprichwörtlichen »Witz«
der Nürnberger, den ihnen zugeschriebenen besonderen Einfallsreichtum, er-
zählt er von den großen historisch verbürgten Erfindern an der Wende vom
Mittelalter zur Neuzeit. Ihre Werke und Namen stehen im Film wie auch in
geschichtswissenschaftlichen Studien für den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Hei-

24 Ebd., S. 383f., S. 371, BROCKMANN, 2006. Vgl. dazu auch BERND A. RusiNEK, »Die deutscheste
aller deutschen Städte« - Nürnberg als eine Hauptstadt des Nationalsozialismus, in: Haupt-
stadt. Zentren, Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte. Katalog zur Ausstellung
in Bonn vom 19. Mai bis 20. August 1989, hg. von BoDO-MiCHAEL BAUMUNK und GERHARD
BRUNN, Köln 1989, S. 92-91. Dass diesem Leitbild Nürnbergs als Ort idealisierter Geschichte
auch im 19. und 20. Jahrhundert schon ein konkurrierendes und zugleich ergänzendes Modell
entgegenstand, das auf eine fortschrittsfreudige und zukunftsoffene Stadt gedrängt habe, zei-
gen BLESsiNG, ZAHLAus, 2000, S. 81-87. Zur überwältigenden Zahl an Kinderbüchern, Romanen
und Novellen über das Nürnberg des Mittelalters vgl. das Kapitel »Fictionalizing Nuremberg«
bei BROCKMANN, 2006, S. 181-185.
25 JoHANN FERDINAND RoTH, Nürnbergisches Taschenbuch, Bd. 1, Nürnberg 1812, S. 6, zit. nach
BLESsiNG, ZAHLAus, 2000, S. 70, vgl. dazu ausführlich BROCKMANN, 2006, S. 32-93: »The Capital
of Nostalgia«.
26 Veit Harlan (Regie), Das unsterbliche Herz. Tonfilm s/w, ca. 101 Minuten, Deutschland 1939,
nach dem Theaterstück »Das Nürnbergisch Ei« von Walter Harlan.
 
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