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Meyer, Carla
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0054

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2.1. »Identität« - ein geeignetes Konzept?

53

Eine dritte Frage schließlich ergibt sich aus der sozialwissenschaftlichen
Feststellung, dass die Annahme sprachlicher und kultureller Homogenität für
die Einzelglieder einer Gemeinschaft empirisch unhaltbar geworden sei.''' Diese
Zweifel treffen sich mit der traditionellen Skepsis der geschichtswissenschaft-
lichen Quellenkritik, wie weit die in einzelnen Zeugnissen und von einzelnen
Autoren vorgetragenen Positionen von ihren Zeitgenossen überhaupt rezipiert
und akzeptiert wurden. Drittens muss man also danach fragen: Welche Reprä-
sentativität kann einzelnen Entwürfen kollektiver Identitäten zugesprochen
werden?^ Gelingt es ihnen, Zustimmung und Loyalitäten zu aktivieren?

2.1.2. »Wer sind wir?«
»Von Einheit, ja von Universalität sah er im Ganzen das Selbstverständnis der
Stadtchronisten geprägt. [...] Heiliges Reich und Stadt wurden ineins gedacht.
[...] Auch die Stadt selbst wurde als Einheit verstanden«''', so beurteilte Mi-
chael Bor gölte 1997 die oben bereits genannte Studie Heinrich Schmidts von
1958 über die städtischen Chroniken des Spätmittelalters. Schmidt habe überall
die Ganzheit einer Welt- und Selbstsicht vorausgesetzt, die er von Einzelfällen
ausgehend und in vergleichenden Untersuchungsschritten fortschreitend auf
jeweils höherer Abstraktionsebene bestätigt gefunden habeA
Aus Borgoltes Kritik an Schmidts »Untersuchungsdesign« lässt sich die Fra-
ge ableiten, ob man die Existenz kollektiver Identitäten selbstverständlich vor-
aussetzen darf (wie dies in der öffentlichen wie wissenschaftlichen Debatte auch
heute vielfach geschieht), oder ob das Bewusstsein der Gruppenzusammenge-
hörigkeit als solches zu hinterfragen ist. »Person bin ich nur in dem Maße, wie
ich mich als Person weiß«^, so definierte Jan Assmann die entscheidende und
vielzitierte These seines Modells kultureller Identität. Nach seinem Urteil gilt
sie gleichermaßen für Individuum wie Gesellschaft: »Kollektive Identität ist
eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen. Es gibt sie nicht

übte: »Sie setzen nämlich voraus, daß Wirklichkeitswahrnehmung, Verhalten und Denken
eine Einheit bilden und zielen auf die Erkenntnis solcher Einheit ab, sei es bei Personen, sei es
bei Gruppen oder gar bei Gesellschaften. Genau diese Einheitsvorstellung ist der Gegenwart
fragwürdig geworden.«
51 Vgl. etwa WAGNER, 1998, S. 49.
52 Vgl. etwa den Fragenkatalog bei BERND ScHNEiDMÜLLER, Spätmittelalterliches Landesbewußt-
sein - deutsche Sonderentwicklung oder europäische Forschungslücke? Eine Zusammenfas-
sung, in: Spätmittelalterliches Landesbewußtsein in Deutschland, hg. von MATTHIAS WERNER,
Ostfildern 2005 (Vorträge und Forschungen 61), S. 393-409, hier S. 405: »Gibt es ein Landesbe-
wußtsein jenseits individueller Gruppendiskurse? Welche Verbreitung fanden historiographi-
sche Texte, lateinisch oder volkssprachlich aufgeschrieben? Ihren Grad an Repräsentativität
kennen wir oft genauso wenig wie ihre Rezipienten. Was in einer Quelle steht, braucht noch
nicht in vielen Köpfen zu stecken.«
53 BoRGOLTE, 1997, S. 197.
54 BoRGOLTE, 1997, S. 198.
55 AssMANN, 2002, S. 130.
 
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