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Meyer, Carla
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0059

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2. Nürnbergs verschiedene (Er-)Fassungen

2.2. Stadtchronistik als »Identitätserzählung«
»Das Aufkommen der Stadtchronistik stellt mithin einen zentralen Vorgang der
Restrukturierung des kulturellen Gedächtnisses dar« ', so konstatierte Günther
Lottes 2000 auf der Basis seiner vergleichend angelegten Studien über die Er-
innerungskultur der frühneuzeitlichen Stadt. Mit der städtischen Historiogra-
phie, so argumentiert er, habe eine neuartige Verschriftlichung von Erinnerung
ihren Anfang genommen, die über die Archivierung von Urkunden oder über
protokollierende Einträge in die Stadtbücher weit hinausgehe. Denn diese Ver-
schriftlichung sei mit der Kodierung der Erinnerung in einer narrativen Matrix
einhergegangen. Das kollektive Gedächtnis habe eine Erzählstruktur erhalten,
die sich mit Hayden White als cmp/otmcnt bezeichnen lasset Unter Whites viel
zitiertem Begriff versteht Lottes die »Anordnung der überlieferten beziehungs-
weise erinnerten und im Prinzip sinnneutralen Fakten in einem Ablaufmodell
oder gleichsam in einer Fabel«, die der Willkür des Geschehens erst einen Sinn
gebe. Dies aber, so sein Resümee, mache »die Darstellung der Stadtgeschichte
in den Stadtchroniken zu dem, was ich Identitätserzählung nennen möchte.«^
Das von Lottes beobachtete Aufkommen der Stadtchronistik ist also nicht
nur als quantitativer Anstieg historiographischer Produktion seit der Mitte des
15. Jahrhunderts statistisch zu messen, die in Nürnberg um 1500 - wie in der
Einführung schon dargestellt - gerade neben vergleichbaren Städten wie Köln
oder Frankfurt am Main als besonders dicht zu gelten hatd Man muss sie zu-
gleich auch als qualitativen Wandel erfassen: Als terminologisches Instrumen-
tarium bietet Lottes dafür einerseits den Begriff der Basiserzählung, die den
Gesamtverlauf der Stadtgeschichte strukturiere, andererseits der unterschied-
lich zu gewichtenden Komplementärerzählungen, die etwa die Interaktion der
Stadt mit anderen Akteuren der großen und kleineren Geschichte betreffen
oder aber als eigenständige Erzählungen zu speziellen Erinnerungsorten oder
Erinnerungshorizonten der Stadt entstehend Vorsichtig als Frage formuliert
wirft Lottes schließlich auf, ob eine solche dichte Chronikproduktion wie in
Nürnberg mit »einer lebhaften Erinnerungskonkurrenz im städtischen Erin-
nerungsraum« korreliere, ob sie also als Ausdruck eines besonders »intensi-
ven Ringens um die Erinnerungshoheit in der Stadt« zu werten seid Doch
obwohl in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg
veröffentlicht, nennt Lottes in seinem Aufsatz nur vereinzelt Nürnberger Bei-

1 LOTTES, 2000, S. 48.
2 Ebd., S. 48f.
3 Ebd., S. 49.
4 Ebd., S. 52. Gerade die erstaunlich unterschiedliche Dichte der chronistischen Überlieferung
in durch ihren Status und ihre Größe vergleichbaren Städten hält Lottes noch für erklärungs-
bedürftig. Bislang zeichne sich weder ein geographisches noch ein ökonomisches oder po-
litisches Verteilungsmuster ab, das begründe, warum die Chroniken in Köln und Frankfurt
»zumindest quantitativ eine so viel geringere Rolle spielen als in Nürnberg oder Augsburg«.
5 Ebd., S. 49.
6 Ebd., S. 52.
 
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