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Meyer, Carla
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0140

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2.2. Stadtchronistik als »Identitätserzählung<

139

Der Vergleich der biographischen Kontexte, in denen Deichslers und Meis-
terlins Werke entstanden, liefert also kein klares Bild, aus dem sich ihre Veror-
tung auf einer Skala zwischen den Polen »autonom« und »offiziös« rechtferti-
gen ließe. Wichtiger als der biographische Hintergrund der Autoren und die
Entstehungsgeschichte ihrer Werke muss für ein Urteil in dieser Frage freilich
ihr Inhalt sein.

2.2.8. Von der Welt- zur Stadtchronik
Unbestreitbar wirkt Meisterlins Werk auf den Leser tendenziöser als Deichslers
Kompilation wie auch die anderen Handschriften der »Jahrbücher«-Tradition.
Kann man sich jedoch mit der Erklärung zufrieden geben, dass Meisterlin selbst
sein Werk als Auftragsarbeit für den Rat begriff und daher schon von den Zeit-
genossen als - wie oben bereits zitiert - Jzo/muzgzsUzer zzzsUzmezUzer verurteilt
wurde? Auch in der so genannten »autonomen« Annalistik fehlt allerdings jede
offene Kritik an der Stadt und am Stadtregiment. Kompilatoren wie Deichs-
ler, so lässt sich positiv gewendet formulieren, waren stolze Lokalpatrioten.
Meisterlin wird in Bürgern wie ihnen sicher sein Zielpublikum gesehen haben,
wie er es in seinem Vorwort umreißt: Er hoffe, so formuliert er dort nämlich,
mit seiner Chronik czn gar genenze szzdz anzugreifen für alle die, die ize& /za&enf
iaznzef [Leumund, Anm. d. Verf.], ere, zizdz z/zres mderiands.^ Der Schlüssel zur
Erklärung der unterschiedlichen Leseimpressionen ist meines Erachtens daher
nicht in den lebens weltlichen, außer literarischen Faktoren zu suchen, sondern
der Eindruck der Parteilichkeit in Meisterlins Werk resultiert aus der Wahl des
Genres und der damit verknüpften unterschiedlichen Ausrichtung, Struktur
und Intention der Nzwozzhcz"gczzszs crozzzca.^
Wie der Leser von Scheurls Collectaneenband L schon beim Blättern merken
konnte, schlägt sich der Wechsel der Textsorte (abgesehen davon, dass in die-
sem Band auch die Sprache vom Deutschen ins Lateinische wechselte) optisch
in der Handschrift nieder: Bestehen die »Jahrbücher« nämlich aus kleineren
Einheiten, stereotyp durch Jahreszahlen eingeleitet, so präsentiert die Chro-
nik deutlich längere Textblöcke, einen zusammenhängenden Text, gegliedert
durch Kapitelüberschriften. Im Vergleich zur inhaltlich wie sprachlich amor-
phen Materialsammlung Deichslers und seiner annalistischen Kollegen wirkt
Meisterlins Werk wie aus einem Guss. Während die annalistischen Werke mo-
noton Notiz an Notiz reihen, ist sein Chronikprojekt viel ambitionierter: Er will
seinen Stoff argumentativ zu einer kohärenten Geschichte formen, Kausalitä-
ten und Sinnbezüge darstellen und einzelne Ereignisse wertend in ein weiteres
Geschehen einordnen.
Ziel der annalistischen Kompilationen war die Dokumentation der histori-
schen Notizen um ihrer selbst willen, Meisterlin dagegen schreibt für ein Publi-

432 CDS3,VI,S.34.
433 Für allgemeine Überlegungen zur Problematisierung der Gattungsunterscheidung zwischen
Annalen und Chroniken vgl. WEBER, 1984, S. 17.
 
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