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Meyer, Carla
Die Stadt als Thema: Nürnbergs Entdeckung in Texten um 1500 — Mittelalter-Forschungen, Band 26: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34907#0417

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416

3. Goldene Zeit oder Krisenzeit?

für die in der Historiographie eine breitere Rezeption der Aufstandsgeschichte
festzustellen ist. Diese verstärkte Beschäftigung mit dem Aufstand aber war
offenbar maßgeblich beeinflusst von der seit den dreißiger Jahren einsetzen-
den Verbreitung der zuvor tabuisierten Meisterlinschen Chronik. Schneider
versucht das neue Interesse an Meisterlins Werk mit dem Erfolg der ratsfähi-
gen Geschlechter zu erklären, denen es in den beiden ersten Jahrzehnten des
16. Jahrhunderts endgültig gelungen sei, sich als geburtsständische Gruppe
abzukapseln, während sich im 15. Jahrhundert immer noch der Aufstieg neuer
Familien in ihren Kreis feststellen lasseDie Konsolidierung ihrer Herrschaft,
so vermutet Schneider, habe der Meisterlinschen Geschichtsfiktion ihre Bri-
sanz geraubt. Nun habe man sie popularisieren können ohne die Furcht, damit
»schlafende Hunde zu wecken«.
Gegen diese Vermutung lassen sich jedoch nicht nur Zweifel an der The-
se von der zunehmenden Abschließung des Patriziats ins Feld führen, wie im
nächsten Kapitel auf der Basis der Studien Valentin Groebners und Gerhard
Fouquets näher erörtert werden soll. Zugleich lässt sich die Frage formulie-
ren, ob dieses Erklärungsmuster in der Epoche der Reformation und der Bau-
ernkriege wirklich greift. Zwar ging Nürnbergs Regiment aus ihnen politisch
vergleichsweise unbeschadet hervor. Doch das oben ausgeführte scharfe Vor-
gehen der reichsstädtischen Zensur gegen Berichte über Aufstands- und Zunft-
bewegungen in anderen Städten, deren Beispiele alle in die erste Hälfte des
16. Jahrhunderts fallen, lässt einen gelungenen Prozess der Herrschaftskon-
solidierung als Erklärung dieses Phänomens als wenig plausibel erscheinen.
Auch Sachsens nachdrückliche Warnung vor solchen Aufständen aus dem Jahr
1548 macht nicht den Eindruck, als sei sie lediglich gedankenlos aus älteren
Vorlagen übernommen, nicht aber für die eigene Gegenwart geschrieben. Da-
her kann auch eine Schneiders Ansatz diametral entgegen gesetzte Erklärung
Plausibilität beanspruchen: An den Aufstand des 14. Jahrhunderts erinnerte
man sich nicht deshalb, weil diese Episode der Stadtgeschichte nun ihre Bri-
sanz verloren hätte. Das neue Interesse am Schembartlauf und seinen histori-
schen Wurzeln kann vielmehr ebenso als notwendige Vergewisserung in einer
zwar nicht akut krisenhaften, aber doch offenbar als prekär empfundenen Lage
gedeutet werden.

3.3.4. Zerfallskräfte innerhalb der Oberschicht
Neben jener die Einheit der städtischen Gesamtgemeinde im Wortsinn >verkör-
pernden< Deutung des Schembartlaufes, wie sie Sachsens Spruch vor Augen
führen will, ist zweitens die Intention der Oberschicht zu stellen, der Allge-
meinheit ihren Anspruch auf städtische Führung zu demonstrieren. Da aus-
schließlich Angehörige der Oberschicht teilnehmen durften, werteten Roller
und jüngst auch Sonja Dünnebeil den Umzug als »zeremonielle Selbstdarstel-

114 S. dazu auch unten Kap. 3.3.5. Für eine umfangreiche Erörterung der Gründe für die verzöger-
te Rezeption der Chronik Meisterlins vgl. SCHNEIDER, 1991, S. 21-28, S. 204, S. 219.
 
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