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Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Peltzer, Jörg [Bearb.]; Schwedler, Gerald [Bearb.]; Töbelmann, Paul [Bearb.]
Politische Versammlungen und ihre Rituale: Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 27: Ostfildern, 2009

DOI Artikel:
Schwedler, Gerald: Formen und Inhalte: Entscheidungsfindung und Konsensprinzip auf Hoftagen im späten Mittelalter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34740#0154

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Entscheidungsfindung und Konsensprinzip auf Hoftagen

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der Ritualforschung, Politikwissenschaft und modernen Verfassungsgeschich-
te sein kann.7
Allgemein werden unter Konsens bzw. Konsensfindung vor allem die
nichtinstitutionalisierten, noch offenen Formen verstanden, innerhalb derer
es den Akteuren möglich war, die Entscheidungen einvernehmlich zu finden.
Konsens kommt dabei nicht notwendig in rationalem Verfahren zustande und
wird auch nicht immer ausdrücklich festgestellt.8 Für mittelalterliche Hoftage
finden sich beispielsweise keine schriftlichen Regeln, wie Entscheidungsfin-
dungen zu erfolgen hatten. Um allerdings ein möglichst präzises Bild der spät-
mittelalterlichen Verfassungswirklichkeit zeichnen zu können, ist die Bedeu-
tung des öffentlichen, ja rituellen Vollzugs hervorzuheben. Dies bedeutet für
die Untersuchung, dass es notwendig ist, sich der Ritualisierung von Entschei-
dungsabläufen bewusst zu werden, also die beabsichtigte Formalisierung von
Handlungsabläufen bzw. deren bewusste Regelfreiheit als Mittel einer Beein-
flussung zu betrachten. Darunter ist zu verstehen, dass die Anwendung und
Nutzung bestimmter offener wie verborgener Strukturen durch diejenigen, die
sich innerhalb von Versammlungen engagieren und exponieren, hierarchische
Strukturen produziert, reproduziert oder zu einer Anpassung dieser Struk-
turen führt, innerhalb derer Einzelentscheidungen getroffen werden können.9
Aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist das Konsensprinzip als solches
ein erklärbares Phänomen. Es ist möglich, die Bedingungen zu formulieren,
die das Herstellen einer politisch funktionalen Einmütigkeit bewirken.10 Dieser
spezifische Gebrauch des Konsensbegriffs deckt sich nicht mit dem Quellenbe-
griff in der Bedeutung allgemeiner Zustimmung oder gar Einstimmigkeit.11 In
der folgenden Untersuchung des Konsensprinzips spätmittelalterlicher Reichs-
versammlungen ist allerdings nicht das Aufscheinen der Formulierung Consen-
sus ausschlaggebend, sondern vielmehr eine durch zeremonielle Funktionalität

7 Egon Flaig, Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom (Historische
Semantik 1), Göttingen 2003; Vormoderne politische Verfahren, hg. von Barbara Stollberg-
Rilinger (ZHF Beiheft 25), Berlin 2001; Rainer Paris, Konsens, Fiktion und Resonanz. Über
einige Wirkungsbedingungen ritueller Kommunikation, in: Fest und Festrhetorik. Zu Theorie,
Geschichte und Praxis der Epideiktik (Figuren 7), hg. von Joseph Kopperschmidt, München
1999, S. 267-280.
8 Achim Hurrelmann u. a.. Wie ist argumentative Entscheidungsfindung möglich? Delibera-
tion in Versammlungen und Internetforen, in: Feviathan 30/4, 2002, S. 544—564.
9 Victor Turner, The forest of Symbols. Aspects of Ndembu ritual, Ithaca, New York 1967;
Victor Turner, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt/New York 2000; Catherine
Bell, Ritual. Perspectives and dimensions, New York u. a. 1997, sieht insb. S. 82 das Ritual
weniger als »expression of authority« denn als »vehide for the construction of relationships of
authority and Submission«.
10 Graham, Concept >Consensus< (wie Anm. 6), S. 53 f. Sartori, Theory of Democracy (wie
Anm. 6), S. 214 f.
11 Zum mittelalterlichen Gebrauch: Martin, Auf dem Weg zum Reichstag (wie Anm. 2), S. 30 f.;
Glossarium Mediae et infimae Fatinitatis, hg. von Charles du Fresne Du Cange, Bd. 2,1842,
S. 548.
 
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