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Peltzer, Jörg [Bearb.]; Schwedler, Gerald [Bearb.]; Töbelmann, Paul [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Politische Versammlungen und ihre Rituale: Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 27: Ostfildern, 2009

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Kaufhold, Martin,: Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual
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https://doi.org/10.11588/diglit.34740#0266

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Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual 265
fahrens entschloss sich das Konzil aber, den Wahlmodus zu verändern, um die
Repräsentativität der Entscheidung zu erhöhen. Die Bindekraft der Entschei-
dung wurde in diesem Fall nicht allein durch ein Ritual, sondern durch eine
kirchenpolitische Maßnahme erhöht, die deutlich von der Tradition abwich.
Und dies geschah mit Erfolg. Ein Ritual vermag dann eine besondere Bindkraft
zu entwickeln, wenn es der authentische Ausdruck bestehender Kräfteverhält-
nisse ist, bzw. wenn es diese in einem Maße zum Ausdruck bringt, das die
bestehenden Kräfteverhältnisse nicht allzu sehr verkehrt. Ein bewegter poli-
tischer Prozess, in dem die Rollenverteilung noch umstritten war, stand dage-
gen einer Ritualisierung mit integrierender Wirkung im Wege.
Wenn wir auf der Ebene bleiben, die wir mit der Papstwahl des Konstanzer
Konzils eingenommen haben, dann bieten sich zwei Ereignisse, die in dieses
weitere Umfeld passen, zur Verstärkung dieses Eindrucks an. Der Papstwahl
ging die Papstabsetzung voraus.8 Das war eine heikle Angelegenheit, und die
Tatsache, dass der erste Versuch, das Schisma durch eine Absetzung der Päpste
1409 in Pisa zu beenden, nicht erfolgreich war, zeigt die Problematik. Wir kön-
nen hier nicht näher auf die Frage dieser Absetzung eingehen, sie soll den
vergleichenden Blick auf etwa zeitgleiche prominente Vorgänge eröffnen, die
sich für unsere Fragestellung in gewisser Weise nutzbar machen lassen. Dieser
Blick zeigt drei hochrangige Versammlungen, die in den Jahren um 1400 bean-
spruchten, Reiche zu repräsentieren - das Konzil, das englische Parlament und
die deutschen Kurfürsten -, und diese Versammlungen setzten um 1400 ihre
Köpfe, die Päpste, den englischen König und den römisch-deutschen König,
ab.9
Es gibt einige Differenzen zwischen diesen Verfahren, aber auch bedeutende
Übereinstimmungen. Zusammen genommen lassen sie das enorm gewachsene
Selbstbewusstsein dieser Gremien hervortreten, die in diesen Jahren allmählich
eine klare Verfahrensordnung entwickelt hatten. Der Stand der Schriftlichkeit

ablehnende Haltung der Universität Heidelberg gegen das Pisaner Konzil in den sogenann-
ten Heidelberger Postillen, ebd. Nr. 268; vgl. außerdem: Alois Gerlich, König Ruprecht von
der Pfalz, in: Pfälzer Lebensbilder 4, hg. von Kurt Baumann/Hartmut Harthausen, Speyer
1987, S. 9-60, hier S. 47-51; Remigius Bäumer, Konrad von Soest und seine Konzilsappellation
1409 in Pisa, in: Das Konstanzer Konzil, hg. von Remigius Bäumer (Wege der Forschung 415),
Darmstadt 1977, S. 96-118; Hermann Heimpel, Konrad von Soest und Job Vener. Verfasser
und Bearbeiter der Heidelberger Postillen zu der Berufung des Konzils von Pisa, in: Westfalen
51, 1973, S. 115-124; Klaus Wriedt, Der Heidelberger Hof und die Pisaner Kardinäle. Zwei
Formen des Konzilsgedankens, in: Aus Reichsgeschichte und Nordischer Geschichte. Fest-
schrift für Karl Jordan, Stuttgart 1972, S. 277-288.
8 Vgl. dazu etwa Harald Zimmermann, Die Absetzung der Päpste auf dem Konstanzer Konzil.
Theorie und Praxis, in: Franzen/Müller, Das Konzil von Konstanz (wie Anm. 5), S. 113-137;
vgl. auch die Absetzung der Päpste auf dem Konzil von Pisa 1409: Mansi 26, Sp. 1146-1148;
vgl. auch Johannes Vincke, Schriftstücke zum Pisaner Konzil. Ein Kampf um die öffentliche
Meinung (Beiträge zur Kirchen- und Rechtsgeschichte 3), Bonn 1942, S. 177-205; vgl. zuletzt
zu diesem Thema Kaufhold, Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter (wie
Anm. 1), S. 312-318.
9 Vgl. dazu Kaufhold, Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter (wie Anm. 1),
Kap. 9, S. 282-318 (mit weiterer Literatur).
 
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