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Keupp, Jan
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0065

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2. Von der Lesbarkeit der Welt

65

daß »niemand Buntwerk, Grauwerk, Zobel oder Scharlach« tragen solle149. Insbesondere
im Verlauf des 14. Jahrhunderts wurde die vermeintliche modische Degeneration
zunehmend für militärische Mißerfolge, Hungerkatastrophen und unerklärliche
Naturphänomene verantwortlich gemacht. Explizit benannte um das Jahr 1350
der Regensburger Scholaster Konrad von Megenberg in seinem Pesttraktat die
Entartung der menschlichen Moden und damit die deformatio der göttlichen
Gebote als Ursache des himmlischen Strafgerichts150.
Aufbauend auf dem Theorem der Sündenstrafe war aus der Sicht der Speyrer
Obrigkeit das pauschale Verbot anstößiger Kleidungsstücke für alle Stadtbewohner
nur konsequent: Da Hoffart und Gottesfrevel die Einwohnerschaft unterschiedslos
bedrohten, schien eine weitere Differenzierung keineswegs vordringlich geboten.
Sie wurde lediglich dort angewandt, wo gewohnheitsrechtlich legitimierte Aus-
nahmeregelungen erkennbar waren, so z. B. im Fall des Schapeltragens bei Unver-
heirateten oder der Goldborten der Ritter. Eine »kollektive Rationalität der Mäßi-
gung«, die patrizische Ratsherren ebenso zur Reduzierung ihres Kleideraufwands
zwang wie den gemeinen Bürger, mochte in den innerstädtischen Konflikten des
14. Jahrhundert durchaus stabilisierend wirken151. Ihr Ziel war jedoch weniger die
Konsolidierung politischer Machtgefüge als die Erhaltung göttlicher Satzung auf
Erden.

d) Göttliche Satzung und ständische Ordnung
Jegliches Heraustreten aus der überzeitlichen Ordnung irdischen Daseins, der lex
Dei, stellte im Verständnishorizont des Mittelalters eine Herausforderung für die
Inhaber der weltlichen Sanktionsgewalt dar. Die Obrigkeiten sollten Sorge für die
Grundsicherung menschlichen Daseins tragen, mußte doch ein hoffärtiges Leben
außerhalb der gottgewollten Normen zwangsläufig in den Untergang führen. In
diese Denktradition lassen sich auch jene Regelungen einordnen, die eine äußere
Trennung der Stände und Gesellschaftsgruppen durch das Merkmal der Kleidung
vorsahen. Korrespondierend zu den Grenzüberschreitungen durch modische Per-
version der Gottesebenbildlichkeit, sexuelle Freizügigkeit oder Unrechten Mittel-
erwerb suchten sie einer schädlichen Umwälzung des sozialen Gefüges entgegen-
zuwirken. Als überwölbendes Deutungsmuster lag dem die Vorstellung von der
Teilung der Gesellschaft in verschiedene ordines zugrunde. Sein Fundament besaß
dieser Gedanke in der Annahme, »daß die Welt ein von Gott in glücklicher Weise
geordnetes Ganzes ist, dessen Teile in ihrem wechselseitigen Verhältnis unterein-
ander sich nach Abstufungen unterscheiden und doch zugleich in Harmonie und

149 Gesta Regis Henrici Secundi Benedicti Abbatis, hrsg. von William Stubbs, 2 Bde. (Rerum Bri-
tannicarum medii aevi scriptores 49), London 1867, Bd. 2, S. 32: et quod nullus, post proximum
Pascha, utatur verio vel grisio, vel sabelina vel escarleta.
150 Vgl. Sabine Krüger, Krise der Zeit als Ursache der Pest? Das Traktat De mortalitate in Alaman-
nia des Konrad von Megenberg, in: Fs. für Hermann Heimpel, Bd. 2 (Veröffentlichungen des
Max-Planck-Instituts für Geschichte 36,2), Göttingen 1972, S. 839-883, S. 854, 871. Vgl. dazu
Bulst, Problem, S. 39ff.; Kühnel, Mentalitätswandel, S. 112ff.; sowie unten, S. lOOff.
151 Vgl. Gerd Schwerhoff, ... die groisse oeverswenckliche costlicheyt zo messigen. Bürgerliche
Einheit und ständische Differenzierung in Kölner Aufwandsordnungen, in: Rheinische Viertel-
jahrsblätter 54 (1990), S. 95-122, S. 105.
 
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