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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0115

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4. Aufsteiger und Aussteiger: Devianz, Distanzierung und soziale Kontrolle

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landen«73. Die Männer aus dem Gefolge König Albrechts wurden ihrerseits an gehal-
ten, den fremden Gästen die bestmögliche Garderobe darzubieten. Selbst der hef-
tige Regenschauer dieses Tages sollte sie in keiner Weise von ihren repräsentativen
Standespflichten abhalten: Wer in Regen- statt in Festtagskleidung erscheine, der
solle an diesem Tage keine Essenszuteilung aus der königlichen Küche mehr erhal-
ten74. Er wurde vom Herrscher sozusagen ohne Nachtmahl zu Bett geschickt.
Eine Selbstverortung unterhalb der herkunfts- und gruppenspezifischen Nor-
men vestimentärer Zeichensetzung war für die Zeitgenossen offenbar kaum hin-
nehmbar75. Sie mußte nicht allein als persönliche Insuffizienz, sondern zugleich als
bewußte Deviation und damit als perfider Bruch mit der Gruppenehre verstanden
werden. Der enge Konnex von Kleider verhalten und sozialem Prestigedenken wird
dabei nicht allein im Wechsel von einer Lebensform zur anderen erkennbar. Die
innerständischen Ressentiments gegenüber Statusunterschreitungen illustriert
treffend eine Episode aus dem Willehalm-Epos des Wolfram von Eschenbach: An-
gesichts seiner verlustreichen Niederlage gegen die Heiden und der akuten Bedro-
hung für Ehefrau und Heimat gelobt der Held, bis zur erfolgreichen Abwehr der
Angreifer auf jeglichen Luxus in Kleidung und Nahrung zu verzichten. Von Kampf
und Flucht äußerlich gezeichnet, tritt der Markgraf daher vor die versammelten
Adeligen des französischen Königshofes. Der unschickliche Anblick sowie die Wei-
gerung Willehalms, die schmutzige Rüstung gegen höfische Seidenkleider einzu-
tauschen, rufen rasch das Mißfallen der Anwesenden hervor. Seine Nichte Alyze
weist ihn nicht nur auf die negativen Konsequenzen für sein eigenes Anliegen, son-
dern auch für seine Verwandtschaft hin: »Die Schande könnte ich nicht wieder gut
machen, liefest Du nackt hei mir herum. Lieber Bruder, verstehst Du nicht, wie das Deinen
Standesgenossen Vorkommen müßte!«76 Markgraf Willehalm zeigt sich diesen Argu-
menten zumindest insoweit zugänglich, als er gestattet, ein kostbares Hofkleid
über seinen Versehrten Harnisch zu streifen.
Die provokante Weigerung, der höfischen vreude durch festliches Gewand Tri-
but zu zollen und damit die Wert- und Ordnungszusammenhänge adeligen Da-
seins angemessen zu repräsentieren, wird hier zum Skandal für die gesamte Fami-
lie des Helden stilisiert. Das höfische Epos gewährt Einblicke in die sozialen
Kontrollmechanismen weltlicher Führungskreise, die aus der zeitgenössischen
Historiographie kaum zu gewinnen sind. Doch bleibt die Szene des selbstvergesse-
nen Willehalm auch innerhalb der volkssprachigen Dichtung nahezu singulär.
Während Raffinement und Exotik adeliger Garderobe in zahlreichen Strophen
73 Ottokars Österreichische Reimchronik, hrsg. von Joseph Seemüller, MGH Deutsche Chroni-
ken V, 2 Bde., Hannover 1890/3, Bd. 2, S. 988, v. 74966f. Vgl. Keupp, Macht und Reiz, S. 96.
74 Cronica S.Petri Erfordensis Moderna, in: Monumenta Erphesfurtensia saec. XII. XIII. XIV., hrsg.
von Oswald Holder-Egger, MGH rer. Germ. 42, Hannover/Leipzig 1899, S. 117-369, a. 1299,
S. 321: Erat autem multe pluvie dies ille. Rex ergo Romanorum mandavit omnibus suis, ut melioribus
prout habebant vestibus vestirentur. Quod si quis negligeret, hac sentencia multaretur, quod nil pabuli de
regia curia reciperet illa die.
75 Allerdings konnte auch der Rückfall eines Heiligen in adelige Repräsentationsformen Kritik
hervorrufen, vgl. Le moine Idung et ses deux ouvrages: Argumentum super quatuor questioni-
la^ et >Dialogus duorum monachorurm, hrsg. von Robert Burchard Constantijn Huygens
(Biblioteca degli Studi medievali 11), Spoleto 1980, S. 142: Norbert von Xanten hätte sich vom unbe-
schuhten Reiter eines Esels in einen bene calciatus et bene vestitus ascensor phalerati equi verwandelt.
76 Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 175,1-4: Soldestu nacket bi mir gen. bruoder, kanstu dich vcr-
sten wie ez dine genoze meinden? vii spat si sich vereinden. Vgl. oben, Anm. 40.
 
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