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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0117

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4. Aufsteiger und Aussteiger: Devianz, Distanzierung und soziale Kontrolle

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fügte der Autor erläuternd hinzu. Seine selbstverliebte betrogenheit mache den eitlen
Raben seinen Standesgenossen verhaßt: »Die, welche ihn einst sehr gerne gesehen
hatten, sähen ihn nun lieber aufgeknüpft«83. Am Ende ernte er Schaden und gerechten
Spott zugleich.
Wie sehr das Spiel mit dem äußeren Schein als grundlegender Verstoß gegen
das göttliche Gebot zu werten sei, versuchte der Stricker in einer weiteren
Märenerzählung in grundsätzlicher Weise darzulegen. Sehr viel konkreter auf das
menschliche Miteinander bezogen, wird darin von einem reichen und gütigen
Herrn berichtet. Dieser habe seinem treuen Knecht prachtvolle Kleider von großem
Wert und Schönheit anfertigen lassen84. Kaum im Besitz der exklusiven Statussym-
bole, habe der undankbare Hörige jedoch jegliche knechtische Arbeit verweigert:
»Er wurde so überheblich, daß er weder auf das Feld noch in den Wald zur Arbeit gehen
wollte«85. Doch auch zu höfischem Betragen erzeigte er sich unfähig. Der Herr verlor
daher die Beherrschung, packte ihn an den Haaren und ließ ihn seines edlen
Gewandes beraubt schließlich im Kerker eines elenden Todes sterben. Die Gabe, so
resümiert der Stricker erneut die moralische Quintessenz seiner Parabel, hätte den
Hochmütigen als Gottesgeschenk zu aufrechtem Handeln ermutigen sollen. Wer
vom Herrn des Himmels im Leben selbst mit Gut und Schönheit ausgestattet
werde, der müsse diese zu Ehre und Nutzen Gottes einsetzen oder statt dessen ewi-
ger Verdammung anheimfallen86.
Das Motiv hoffärtig ausstaffierter Bauernsöhne verarbeitete nahezu zeitgleich
der im südostdeutschen Raum wirkende Dichter Neidhart von Reuenthal87. Hatte
er in seinen Sommerliedern bereits den übertriebenen Putz liebestoller Bauern-
mädchen und ihrer nicht minder minnefrohen Mütter persifliert88, so schlug er in
den kunstvoll komponierten Winterliedern sehr viel harschere Töne an. Das in
den Spielarten der höfischen Galanterie erfahrene Sänger-Ich sieht sich hierbei mit
dem selbstgefälligen Gepränge ungeschlachter Bauernburschen konfrontiert89. Im
83 Ebd. S. 336: die in ê vil gerne sahen, / sæhen si in denne haben.
84 Die Kleindichtung des Strickers, Bd. 3,1, Nr. 90, S. 316f.: Er het einen eigen chneht; / der solde im die-
nen, daz was relit. / dem liiez er chleider machen, / daz von so riehen suchen / nie chneht chleider getru(o)c.
/ diu liiez er zieren genu(o)c / mit golde und mit gesteine / allez daz gemeine, / da mit man zieren solde, /
swaz man zieren wolde, / des wart Wunders daran geleit.
85 Ebd. S. 317: Als er die chleider gwan, / do tet er als ein tumber man: / er wart da von so stolz, / daz er zeak-
ker noch zeholz / niht mer varn wolde, / als er von rehte solde. / beidiu naht und tac / niwan hofschens er
phlac.
86 Ebd. S. 318f.: Den chneht, den er Meiden liiez, / und er sin werch darumbe liez, / daz ist ein edel riche
man, / den got hat gewendet an / gebürt und richeit. / mit der grozen Schönheit / zieret in got dar zu(o), /
daz er deste baz tu(o) / mit werchen und mit gu(o)te, / mit libe und mit mu(o)te.
87 Vgl. zum Kleidermotiv bei Neidhart Lehmann-Langholz, Kleiderkritik, S. 155-193, sowie gene-
rell Reinhard Bleck, Neidhart, Leben und Lieder (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 700),
Göppingen 2002.
88 Die Lieder Neidharts, Sommerlied 1,1,1-4, S. 1: Ein altiu diu begunde springen / höhe alsam ein kitze
enbor; / si wolde bluomen bringen. / doliter, reich mir min gewant!<
89 Dabei wurde in der germanistischen Lorschung wiederholt der unmittelbare Zusammenhang
der Lieder mit der sozialen Realität im bayerisch-österreichischen Grenzraum thematisiert, vgl.
etwa Ursula Schulze, Zur Lrage des Realitätsbezuges bei Neidhart, in: Österreichische Litera-
tur zur Zeit der Babenberger, hrsg. von Alfred Ebenbauer/Lritz Peter Knapp/Ingrid Strasser
(Wiener Arbeiten zur Germanischen Altertumskunde und Philologie), Wien 1977, S. 197-217;
nach Petra Giloy-Hirtz, Deformation des Minnesangs. Wandel literarischer Kommunikation
und gesellschaftlicher Punktionsverlust in Neidharts Liedern (Beihefte zum Euphorion 19),
Heidelberg 1982, S. 75-128, entpuppe sich der »suggerierte Tenor einer allgemeinen Bedrohung«
 
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