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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0265

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3. Die Spielarten der Auszeichnung

265

doch den Versuch eines Balanceaktes zwischen geistlicher und weltlicher Sinnge-
bung dar. Nicht zuletzt der Stellung des Autors als Anwalt päpstlicher Interessen
am Kaiserhof geschuldet, suchte seine Erklärung den harmonisierenden Ruhe-
punkt zwischen den Amplituden gegenläufiger Deutungsperspektiven zu gewin-
nen. Das kontextbezogene Oszillieren der zeitgenössischen Interpretationen ver-
weist auf einen spannungsreichen Aushandlungsprozeß, der nicht nur das äußere
Erscheinungsbild des Herrschers, sondern auch seine Identität als Repräsentant der
höchsten weltlichen Gewalt und die damit verbundenen Ressourcen des herr-
schaftlichen Handelns tangierte.
Im Zeichen der Herrscherbinde entspann sich so ein Wettstreit um Legitimität und
Anerkennung. Der Weg von der antikrömischen Feldherrentoga über den byzanti-
nischen Loros bis hin zur priesterähnlichen Stola des Reichsoberhauptes war von
zahlreichen Akten der Neuinterpretation gekennzeichnet. Sie verweisen auf eine
Abfolge subtiler Deutungskämpfe, innerhalb derer die Person des Herrschers kei-
neswegs ausschließlich die Rolle eines von äußeren Zuschreibungen dirigierten
Statisten einnahm, aber ebensowenig in derjenigen eines souverän regieführenden
Selbstdarstellers auftrat. Statt dessen orientierten sich die Könige und Kaiser bei
ihrer Kleiderwahl unverkennbar an gesellschaftlich verfügbaren Sinngebungs-
strukturen und Deutungsangeboten. Im Prozeß der intersubjektiven Selbstver-
ortung verfolgten sie darauf aufbauend »die aktiv umgesetzte Intention, für andere
in spezifischer Weise im Rahmen eines semantisch und bildhaft ausdifferenzierten
Sinnbezirks interpretierbar zu sein«361. Ihr Ornat schuf somit eine Projektionsfläche
für subjektiv bestehende Geltungsansprüche und deren gesellschaftliche Anerken-
nung. Die Einzelbestandteile der Herrscherkleidung wirkten gemäß der von Hans-
Georg Soeffner vorgeschlagenen Klassifizierung emblematischer Ausdrucks-
formen nicht allein als »Funktionssignale«, die eine statisch definierte Amtsposition
kennzeichneten, sondern als »Überzeugungssignale«, die ein an spezifische Sinn-
gehalte gebundenes Anschlußhandeln evozierten362. Sie beantworteten nicht allein
die Frage: >Wer ist der Herrscher?< sondern implizierten Lösungswege des Pro-
blems: >Was gebührt ihm?<. In der Aufforderung zur interpretierenden Rezeption
des zeichenhaft Dargestellten lag nicht allein das Potential einer apodiktischen
Akzeptanz oder Ablehnung. Sie eröffnete zugleich Spielräume der Abwandlung
und Überlagerung der intendierten Deutungsangebote und erzeugte somit eine
Dynamik, der die Selbst- und Fremdwahrnehmung des Herrschers kontinuierlich
unterworfen war.

e) Gescheiterter Selbstentwurf: Cola di Rienzo
Visionen und Verheißungen
Wirken die im Zeichen der Kleidung verfolgten Überzeugungsstrategien mit Blick
auf die Stabilität des römisch-deutschen Königtums mehrheitlich konventionell
361 Hans-Georg Soeffner, Auslegung des Alltags - Der Alltag der Auslegung, Frankfurt/M. 1989,
S. 167.
362 Ebd.S. 174f.
 
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