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Gramsch, Robert
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0366

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5.3. Nach dem Paradigmenwechsel: Das Reich und die Fürsten

365

5.3. Nach dem Paradigmenwechsel:
Das Reich und die Fürsten in neuer Perspektive

Hans-Werner Goetz hat in seiner mittlerweile schon wieder zwölf Jahre alten Bilanz der
modernen Mediävistik den Paradigmenwechsel in der neueren Reichs- und Verfassungs-
geschichte beschrieben als eine Abwendung von der Untersuchung institutioneller und
oft vertikal orientierter gesellschaftlicher Strukturen (Herrschaft) hin zu einer Betrach-
tung der Gesamtheit sozialer und politischer Beziehungen, in der sich Politik als ein
Machtspiel vieler Akteure vollzieht. Der rückt hier ganz von selbst in das
Zentrum der Aufmerksamkeit.^ Und auch Kou/FUc, welche im Rahmen des hier entwi-
ckelten netzwerkanalytischen Konzepts eine so große Rolle spielen (siehe Kapitel 1.2),
haben im Lichte dieses Paradigmenwechsels eine entscheidende Umdeutung erfahren:
Konnte einer am Begriff der Herrschaft orientierten Verfassungsgeschichte der Konflikt
nur als Negation der Ordnung erscheinen, werden sie in der neuen Betrachtungsweise
zu einem konstitutiven Element derselben.^
Zugleichen konstatieren Goetz und (an gleicher Stelle) Steffen Patzold eine bezeich-
nende Differenz zwischen der Forschungsentwicklung im westeuropäisch-angelsäch-
sischen Raum und in Deutschland: Während im Westen konkrete soziale und politische
Beziehungsgeflechte in ihrem höchst dynamischen Verhalten untersucht worden sind, hat
sich die deutsche Forschung, die hier namentlich Gerd Althoff vieles zu verdanken hat,
vor allem auf die Rekonstruktion eher abstrakter, quasi normativ verstandener „Spiel-
regeln der Politik" konzentriert.^ Beide Ansätze bilden offenbar zwei Seiten derselben
Medaille und wenn, wie leicht zu erkennen ist, sich vorliegende Arbeit eher dem ersteren
^ GoETZ, Moderne Mediävistik, S. 194: „Wenn in Westeuropa die Bereitschaft, sich wieder stärker
der Verfassungsgeschichte zuzuwenden, in den letzten Jahren zugenommen hat, so wird
hier entsprechend nicht mehr ,Herrschaft", sondern ,Macht" zum entscheidenden Faktor (...).
Damit verbindet sich (...) die für die heutige Verfassungsgeschichte typische Sichtweise, die
Verfassung weniger ,institutionelF als vielmehr in ihren komplexen, alle Ebenen erfassenden,
, realen" Beziehungsgeflechten zu betrachten und nach dem konkreten Funktionieren der
staatlichen Ordnung (...) zu fragen."
^ GoETZ, ebda., S. 194f.: „KonRikte" bedeuten nicht Fehlen staatlicher Ordnung, sondern
sie werden zum Teil einer solchen Ordnung und zur alltäglichen Erfahrung. Schon der
Begriff Konflikt" macht die neue Denkrichtung deutlich, die nicht mehr einem , royal istischen"
Blickwinkel folgt (Konflikt" ist eben etwas anders als ,Rebellion" oder ,Aufstand") und die
Politik eher in sozialgeschichtlichen Kategorien betrachtet. Die ,Aufstände" aber waren keine
Rebellionen, sondern Reaktionen auf Verletzungen der Ehre, der Würde und des Rechts." Vgl.
hierzu auch die ausführlicheren Erörterungen von STEPPEN PATZOLD, Konflikte als Thema der
modernen Mediävistik, in: GoETZ, ebda., S. 198-205.
^ Vgl. PATZOLD, ebda., S. 203 zu Althoff: „Er forscht nicht in erster Linie nach sozialen Struktu-
ren und deren Auswirkungen auf KonRiktausbruch, -austragung und -beilegung, sondern
nach jenen ungeschriebenen, durch Gewohnheit bestimmten ,Spielregeln", nach denen die
Kontrahenten sich bei der Führung und Beendigung der Auseinandersetzungen richteten.
Die anglo-amerikanische Forschung fragt: Wie hat eine Gesellschaft ohne zentrale Herrschaft
und Autorität bestehen können, ohne in Anarchie auseinanderzubrechen? Althoff dagegen
fragt: ,Wie funktioniert Herrschaft ohne schriftlich fixierte Normen? " - Zu Althoffs (nach
dieser Definition) eher zum angelsächsischen Forschungsansatz neigendem (und tatsächlich in
seinem Oeuvre etwas „aus dem Rahmen fallendem") Aufsatz über die „Erhebung Heinrichs
des Kindes in den Reichsfürstenstand", der vorliegender Arbeit wesentliche Impulse gab,
siehe oben S. 51 (Anm. 116).
 
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