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Hartmann, Florian; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Ars dictaminis: Briefsteller und verbale Kommunikation in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 44: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34760#0086

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2 Die Rezeption der ars dzcfamzzzzs in Norditalien

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rung, Verwissenschaftlichung und Säkularisierung sind damit verbundene Stichworte,
die das Leben in den Kommunen kennzeichneten und als Erklärung dafür dienten,
warum in den Kommunen »entsprechende Lehrbücher eine gute Aufnahme fanden«.""
Dieses an sich plausible Erklärungsmodell kann allerdings alleine die spezifische
Vorreiterrolle Bolognas nicht erklären, war doch zum Beispiel Mailand in Bezug auf
das Maß pragmatischer Schriftlichkeit tendenziell weiter entwickelt und zudem vom
Bedarf her Bologna durchaus überlegen.^ Und auch die berühmte Bologneser Rechts-
schule kann kein Grund gewesen sein, waren doch Arezzo und Pisa, die Romagna und
vor allem Mailand und Pavia wesentlich früher an der Rezeption des römischen Rechts
beteiligt als Bologna."" Eher hat die Bologneser Schule der Notarskunst und der ars dzc-
htmznzs die Rechtsschule hervorgebracht als umgekehrt."" Zudem erscheinen die ersten
überlieferten arfes dzcfandz in Bologna schon vor der formalen Etablierung der Kom-
mune mit der Erstnennung eines Konsuls.""
Zweitens hat die Forschung nie versucht zu analysieren, wie der Transfervorgang
zu erklären ist, wie und über welche Mittler also Alberichs BrcAan'aa; den Weg nach
Bologna gefunden hat, das in Bologna nachweislich rezipiert, kritisiert und anfangs so-
gar zum Ausgangs- und Referenzpunkt hinsichtlich der ars dzchtmznzs gemacht wurde.'"
Wer hat den Transfer von Rom nach Bologna zu verantworten? An der Rezeptionsbe-
reitschaft in den oberitalienischen Kommunen kann nicht gezweifelt werden. Die hat
wohl bestanden. Die Frage muss aber auch lauten, wie man in Bologna von Alberichs
Werk überhaupt Kenntnis erhalten hat oder - mit anderen Worten - wer auf der an-
deren Seite, auf Seiten der römischen Kurie, die Nachfrage in Bologna überhaupt erst
stimuliert hat?"'
Eine weitere These zu den Anfängen der ars dzchtüdz hat jüngst RoNALD WiTT vor-
gelegt. ' Der Investiturstreit habe demnach zwei in diesem Kontext bedeutsame Kon-
sequenzen gehabt: Auch wenn die Überlieferung für die italienischen Städte in den

MANN, Verschriftlichung als Lernprozess; TuRCAN-VERKERK, L'art epistolaire au XIL siede; HACK,
Codex Carolinus, S. 16.
ScHALLER, Dichtungslehren, S. 263.
Vgl. zum Kontext in Mailand vor allem Swcx, Implications of Literacy, mit dem Ergebnis zur
Bedeutung der Schrift im Kontext der sozialen Bewegungen des 11. Jahrhunderts, S. 214 f.
»What gave the movement its strength and paradoxically made it so vulnerable was its use of
the letter and the word«. ZuMHAGEN, Religiöse Konflikte, dort zum Einsatz der Schrift, S. 48-34.
FRIED, »... auf Bitten der Gräfin Mathilde«, S. 198.
FRIED, »... auf Bitten der Gräfin Mathilde«, S. 199, unter Verweis auf NicoLAj, Cultura; so letztlich
auch schon CENCETTi, Sülle origini dell studio, S. 24g f., mit dem Verweis auf eine » scuola nota-
rile«, die ab etwa 1060 bestanden habe.
Zwar kann die Entstehung der Kommune nicht mit der Erstnennung des Konsuls gleichgesetzt
werden; zu den Anfängen der Kommune schon vor der Nennung der Konsuln vgl. die weg-
weisenden Studien KELLERS, Entstehung; DERS., Adelsherrschaft und städtische Gesellschaft.
Doch ist im spezifischen Fall Bolognas zu Lebzeiten der Markgräfin Mathilde von Canossa eine
selbständige Stadtherrschaft in den Händen der Bürger ohne jeglichen Einfluss Mathildes recht
unwahr scheinlich.
Zur Alberich-Rezeption als Ausgangspunkt der oberitalienischen kommunalen ars dz'cfazzzz'zzz's
vgl. SCHMALE, Die Bologneser Schule; DERS., Adalbertus Samaritanus: Praecepfa dz'cfazzzz'zzHZ?:;
DERS., Zu den Anfängen; DERS., Bürgertum; BLOCH, Monte Cassino's Teachers and Library,
S. 393 f.; WoRSTBROCK, Die Anfänge der mittelalterlichen Ars dictandi, S. 13 f; zu Alberichs maß-
geblichem Einfluss auch noch auf Bernhard von Bologna in der Mitte des 12. Jahrhunderts vgl.
TuRCAN-VERKERK, La Paü'o z'zz dz'cfazzzz'zza.
Bei diesem Perspektivenwechsel müsste man die Gründe für den Transfer der ars dz'cfazzzz'zzz's
nach Bologna nicht nur in Bologna, sondern auch in Rom suchen.
WiTT, Rhetoric and Reform.
 
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